Interview erschienen in Human Facts, 08/2025
Human Facts meets Pauli Trenkwalder, Berg- und Skiführer, Coach und Diplom-Psychologe
„Wie oft war es schon steil in Ihrem Leben? Steht gerade wieder ein Berg vor Ihnen?“ So begrüsst uns die Website Mensch und Berge (German) von Pauli Trenkwalder, der Menschen auf „Steilstrecken“ in ihrem Leben unterstützt, als Bergeführer sowie als Coach und Psychologe. In beiden Professionen gleichermassen profund ausgebildet, macht er sich mit uns auf den Weg in die Berge, um bewusst aus dem Alltag herauszutreten, um zu reflektieren und nachzudenken. Damit ist allerdings weit mehr verbunden als die Idee, mental Abstand zu gewinnen. Durch das begleitete Eintauchen in die Stille und die Natur der Berge, lädt Pauli Trenkwalder uns zu einem ganz besonders wertvollen Perspektivenwechsel ein: Im Resonanzraum der Berge können wir uns nicht nur intellektuell, sondern als „ganzer“ Mensch, mit all unseren Sinnen und Körper-Geist-Seelenverbund erfahren – das weitet den Blick und schafft Vertrauen in uns selbst.
Pauli, zunächst herzlichen Dank, dass Du Zeit findest für dieses Interview. Obwohl wir ja global den allgemeinen Trend beobachten, dass viele Menschen vom Land in die Stadt ziehen, scheint die Pandemie – zumindest bei uns in der Schweiz – einen Umkehrtrend ausgelöst zu haben. Nicht nur, dass die Berge von Wanderern an den Wochenenden quasi überlaufen waren. Auch die Nachfrage aufs Land bzw. in die Natur zu ziehen – und das sind bei uns meistens die Berge – hat sich während der Pandemie drastisch erhöht. Wie erklärst Du Dir das? Warum zieht es uns plötzlich mehr und mehr in die Natur und die Berge? Welche Wirkung hat das auf uns und warum? Was fasziniert Dich selbst immer wieder?
Wenn man die Menschen fragt, warum es sie in die Natur zieht, dann ist die allgemeine Überschrift: „Weil es mir guttut“. Die Motive sind aber sehr unterschiedlich. Vom Sport, Leistung, die Muskeln zu spüren, zu entspannen, Ziele zu erreichen, einfach „sein“ bis Lifestyle-Trend ist alles dabei. Dass besonders im Frühling 2020 mehr Wanderer unterwegs waren, konnte ich im Südtirol auch feststellen. Jetzt, wo man wieder alles darf, ist die Anzahl Menschen, die in der Natur unterwegs sind, aber wieder gleich hoch wie zuvor. Offensichtlich geht es uns mit der Natur wie mit anderen Dingen auch: Oft erschliesst sich uns ihr Wert erst, wenn wir etwas nicht mehr haben. Mich persönlich fasziniert vor allem, dass man sich auch als Menschen in der Natur und am Berg näherkommt. Ich habe bei und durch meine eigenen Klettertouren tiefgreifende Begegnungen und Freundschaften erleben dürfen. Wenn man gemeinsam jenseits der Zivilisation unterwegs ist, dann geht es nicht nur ums Klettern. Sondern vor allem auch darum, dass man sich ausgesetzt in der Natur als Mensch näher kommt und Tiefe in der Begegnung erleben kann. Das fasziniert mich bis heute.
Die Kombination, profund ausgebildeter Bergführung und Coach scheint mir relativ einzigartig. Was hat Dich bewegt, diese beiden Berufe zu erlernen und auch zu kombinieren?
Kurz gesagt, mich hat beides enorm fasziniert: das Klettern und Bergsteigen genauso wie die tiefen menschlichen Begegnungen und Erfahrungen, die ich am Berg erleben durfte. Aber der Weg, beides gleichwertig professionell und seriös zu betreiben und vor allem sinnvoll zusammenzubringen, war ein langer Weg mit viel Geschichte. Gerade auch weil die Kombination eher selten ist. Rückblickend sieht das natürlich immer einfach aus. Aber beiden Professionen gleichzeitig gerecht zu werden und sinnvoll zu kombinieren, war gar nicht so leicht. Aber heute wird der Mehrwert in der Kombination von meinen Kundinnen und Kunden gesehen und auch von beiden Professionen anerkannt. So bin ich z.B. auch in der Ausbildung für andere Bergführende tätig, gerade weil ich auch die Psychologie im Rücken habe.
”Mich persönlich fasziniert vor allem, dass man sich auch als Menschen in der Natur und am Berg näherkommt. Ich habe bei und durch meine eigenen Klettertouren tiefgreifende Begegnungen und Freundschaften erleben dürfen.
Die Kunden/innen von Human Facts sind mehrheitlich Führungskräfte in Organisationen oder Unternehmen. Wo gibt es Deiner Meinung nach Parallelen zwischen Bergführenden und Unternehmensführenden? Was können Unternehmensführende von Bergführenden lernen? Was können Teams in den Bergen lernen?
Als erstes fällt mir da die Parallele ein, dass beide Entscheidungen treffen. Und zwar weil wir es müssen, wollen aber auch können. Manchmal sind die Entscheidungen einfach und Routine. Oft sind sie aber auch herausfordernder, weil ihr Ausgang ungewiss ist. Das Wetter in den Bergen ist wohl eine ähnlich ungewisse Komponente wie manche Marktentwicklungen für die Unternehmensführung. Auch bei der Zusammensetzung der Kompetenz der beiden Berufsstände sehe ich Ähnlichkeiten. Bei beiden handelt es sich um ein Gemisch aus Regeln, die man Intus hat plus Intuition, die sich durch Erfahrung immer stärker ausbildet. Der Profi, egal ob im Bergführen oder in der Unternehmensführung, wird auch immer wieder auf dessen Erfahrung zurückgreifen, besonders wenn er sie reflektiert, ausgetauscht und eine gewisse innere Distanz dazu entwickelt hat. Am Ende steht aber gar nicht so sehr der direkte Transfer vom Bergsteigen zum Management im Fokus. Zumal es sehr individuell ist, was jede oder jeder von der erlebten Situation am Berg mitnimmt. Man lernt nicht vom Bergführenden, sondern durch den Prozess des Unterwegsseins in den Bergen. Und genau auf diesem Weg begleite ich die Menschen. D.h., meine Rolle ist fokussiert auf das Zuhören und darauf einzugehen.
Dolomiten | Pauli Trenkwalder
Die Pandemiekrise hat wohl bei uns allen – egal ob Führungskräfte, Selbständige oder Angestellte – grundlegende Ängste und Unsicherheiten in allen Lebensbereichen befördert: Angst um unsere Gesundheit, die Angehörigen, die wirtschaftliche Existenz, die Lebensgestaltungsfreiheit und die Zukunft ganz allgemein. Für mich sind Ängste immer auch ein Ausdruck der Abwesenheit von Vertrauen. Vertrauen ins Leben, in uns selbst, in andere, in die Zukunft. Was kann aus Deiner Erfahrung helfen, Ängste nicht überhand nehmen zu lassen und immer wieder zurück zu Mut und Vertrauen zu finden? Inwieweit kann uns dabei der Resonanzraum der Berge, wie Du ihn so schön nennst, behilflich sein? Welche Wandlungen konntest Du auf Deinen Berggängen dazu beobachten?
Vertrauen ist ein zentrales Beziehungsgefühl, ohne das keine Geborgenheit und kein Schutz vermittelt, beziehungsweise empfunden werden kann. Vertrauen schafft auch Selbstvertrauen und Selbstvertrauen führt wiederum der Vertrauensfähigkeit. UnserSelbstvertrauen wird massgeblich von Selbstwirksamkeit genährt. Hierbei beweist man sich selbst, dass man in der Lage ist, die wichtigen Dinge durch eigenes Handeln auch gegen Widerstände zu erreichen. Selbstwirksamkeit wird ausschließlich in konkreten Situationen und mit konkreten Menschen gewonnen. Sie gilt als wesentliche Facette psychischer Gesundheit. Unter psychischer Gesundheit verstehen wir einen Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeit ausschöpft, die normalen Lebensbelastungen bewältigt, produktiv arbeitet und etwas zur Gemeinschaft beitragen kann. Dabei ist es durchaus normal und auch hilfreich, auch ab und zu Angst zu empfinden. Angst ist eines der am frühesten entwickelten Gefühle und ursprünglich ein lebensnotwendiges Signal, das zu selbstschützenden Verhalten mobilisiert. Gerade in den Bergen ist es für mich in diesem Sinne auch eher ein Zeichen von psychischer Gesundheit, wenn Menschen da Angst haben als wenn nicht.
Ortler, Südtirol | Pauli Trenkwalder
Das zur Theorie. Jetzt zu meinen «So, jetzt gehen wir mal in die Berge und dann ist alles wieder gut» so ist es leider nicht. Gerade bei übermässigen Ängsten oder auch psychischen Problemen sollte man auf jeden Fall eher einen klinischen Psychotherapeuten•in aufsuchen.
Was Menschen aber in den Bergen auf jeden Fall stärken können ist ihre Selbstwirksamkeit, die ja mit Selbstvertrauen, Vertrauen und psychischer Gesundheit eng verknüpft ist.