Interview erschienen in Bergerleben
Die Psyche und die Nacht am Berg
Stell dir vor, du stehst alleine im Wald. Es ist dunkel und deine Pupillen sind geweitet, um das wenige, noch vorhandene Licht aufzunehmen. Du hast keine Taschenlampe dabei, auch kein Mobiltelefon, um Licht ins Dunkel zu bringen. Wie wird dein Körper und deine Psyche reagieren?
Mit Sicherheit wird dein Sehsinn, der durch die Dunkelheit wenig Information bekommt, vermehrt durch deinen Gehörsinn unterstützt. Auf einmal hörst du mehr und differenzierter als sonst. Du wirst spüren, dass dein ganzer Körper aktionsbereit ist. Deine Muskeln sind angespannt, dein Herz schlägt schneller und du bist bereit wegzulaufen oder anzugreifen.
Denn, was da im Dunkeln hinter dem Busch ist, ist ungewiss. Unsicherheit macht Angst. Die Fantasie ist meist schlimmer als die Realität.
Früher, bei den alten Griechen, war es mit der Angst deutlich einfacher. Da lag die Zuständigkeit für Angst beim Gott des Waldes und der Natur Pan. Ein Mischwesen aus Menschenoberkörper und Ziegenbock. Pan wurde von den Hirten verehrt, lebte im Wald und in den Bergen und liebte die Mittagsruhe. Wenn man ihn zu dieser Stunde störte, so konnte er sehr ungehalten werden und versetzte Schafherden in panischen Schrecken. Daher kommt der Begriff „Panik“ , welcher eine starke intensive Angst beschreibt. Übrigens erfand Pan liebestrunken auch die „Panflöte“.
Zurück in den dunklen Wald und die aufkommende Emotion Angst. Nach den Erklärungen der alten Griechen konnte die körperliche Empfindung und das Wahrnehmen von physischen und psychischen Reaktionen bezüglich Angst und Sorge, nur damit zu tun haben, das hinter irgend einem Busch der Gott Pan lauert. Sonst würde man Angst ja nicht verspüren. Eine hervorragende Idee, Angst auszulagern.
Heute wissen wir, Angst und wie man darauf reagieret und damit umgeht, hat mit einem selbst zu tun.
In der Psychologie gilt die Angst als das am frühesten entwickelte Gefühl. Schon als Säugling, dann als Kleinkind und später als Heranwachsender erleben wir Angst als emotionale Reaktion im Erleben unserer Umwelt und in Beziehung mit unseren Nächsten. Neben der rein existentiellen Angst in gefährlichen Situationen erleben wir schon sehr früh die Angst vor dem Verlust der Bezugsperson und vor dem Verlust der Liebe der Bezugsperson. Im Heranwachsen erfahren wir die Angst vor dem Verlust der Selbstbestimmung und später die Angst vor der Hingabe. Die kindliche Lerngeschichte mit diesen Beziehungsängsten determiniert weitgehend unsere spätere Persönlichkeitsentwicklung. Unser erlernter Umgang im Vermeiden von angstauslösenden Situationen prägt unser habituelles Verhalten im Erwachsenenalter.
Es ist nicht nur die Dunkelheit die uns Angst machen kann. Beim Klettern und Bergsteigen begegnet sie uns immer wieder, sie ist im Hintergrund immer irgendwie dabei. Die Erscheinungsformen und Ausprägungen sind dabei so unterschiedlich wie wir Menschen und unser Tun in der Vertikalen. Der Aspekt der Gefährdung, des Risikos für Leib und Leben produziert Angst. Das Spektrum der Gefahr reicht von echter Todesgefahr, wie etwa beim Soloklettern, bis hin zur rein subjektiven Flugangst beim gut gesicherten Sportklettern. Aber ob Höhenangst oder Todesangst, die tatsächliche Gefährdung hat wenig Einfluss auf unser subjektives Angstgefühl. Die gefühlte Intensität erstreckt sich von leichter Erregung bis hin zur Panikattacke.
Mit Blick auf die Evolutionspsychologie stellt die Nacht eine Gefahr dar, gleichzeitig schütz die Dunkelheit auch. Schon oft erlebte ich sie unterstützend, besonders dann, wenn sie den Blick in die Tiefe versperrt. Manch ein Gast der im Vorfeld voller Sorge auf die bevorstehende Tour war, schilderte mir im Nachhinein, dass er über die Finsternis im Aufstieg froh war. So konnte er den Abgrund nicht sehen und ohne Ablenkung über den Felsgrad klettern.
Der bergsteigende Mensch ist ein erfahrener Experte im Umgang mit Angst und die Zurückdr.ngung derselben. Das Unterdrücken von Angst kostet Kraft und Energie. Letztendlich ist Höhenangst eine biologisch eingeprägte psychische Reaktion und die Angst vor der Dunkelheit wurzelt in unserer Evolution. Diese Ängste haben jeher unser Überleben gesichert.
Wie oft durchschreiten wir die Nacht auf dem Weg zu unserem Bergziel? Es ist der Sternenhimmel, die blaue Stunde und der Sonnenaufgang der uns belohnt. Und wie bei allen Themen im Umgang mit der Angst, sollten wir auf die Dosis achten, der wir uns aussetzen.