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Ronja

Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Risiko

By Interview
Interview erschienen in …

Risiko

Woran denken wir, wenn wir auf den Trails unterwegs sind? Auch an die Gefahr? Und was ist das, was uns am Riskanten manchmal so reizt? Eine Spurensuche im Grenzgebiet zwischen Selbsterfahrung und Selbstüberschätzung.

Am Dienstag, dem 7. Juni dieses Jahres kam es auf dem Heuberggrat bei Hirschegg im Kleinwalsertal zu einem Zwischenfall, der es einzig deshalb nur auf die bunten Seiten der regionalen und überregionalen Presse bringen sollte, weil glücklicherweise dann doch nicht wirklich viel passiert war. Außer einem Hubschraubereinsatz der Bergwacht. Kostenpunkt rund 18.000 Euro. 99 Schüler:innen aus dem Raum Ludwigshafen mussten aus halbhöchster Bergnot gerettet werden. Erschöpft, durchnässt und buchstäblich verstiegen.

Was war passiert? Einer der Lehrer hatte zuvor auf dem Routenportal Komoot eine passende Wanderung für die Jugendlichen Komoot eine passende Wanderung für die Jugendlichen gefunden. Zweieinhalb Stunden Gehzeit und als „Feierabendrunde“ angepriesen. Nun ahnen wir, und inzwischen weiß das auch der Lehrer: Feierabendrunde ist ein recht dehnbarer Begriff. Tatsächlich war besagte Wanderung in den offiziellen Tourismusprospekten nicht mehr aufgeführt, der Boden sei erodiert, der Pfad teilweise schwer zu finden.

Anruf Im Eisacktal in Südtirol bei Pauli Trenkwalder. Bergführer, Coach und Psychologe. Wie es denn nun bestellt sei, um das Verhältnis von uns Menschen, den Bergen und dem Internet? Und was das alles mit unserem Risikobewusstsein zu tun habe? Nehmen wir die Berge, als Erlebnis und mehr noch als Erfahrungsraum, vielleicht einfach nicht mehr ernst? „Ich mag das gar nicht gegeneinander ausspielen“, sagt Trenkwalder, „auf der einen Seite erfahrene Alpinist:innen, die vielleicht ein wenig zu lässig mit ihrem Können und ihrem Zutrauen prahlen. Auf der anderen Seite bergunerfahrene Menschen, die gar nicht in der Lage sind zu reflektieren,  was die Berge überhaupt sind, die eine Story etwa in den Sozialen Medien finden und sagen: Das will ich auch.“ Problematisch werde es spätestens, wenn sich diese beiden Phänomene gegenseitig verstärken. Wenn die Heldengeschichten der einen, auf den Event- und Experiencehunger der anderen treffen. Wenn also der GoPro Film von Kilian Jornet (nicht jede:r weiß ja, dass der extreme Weitwinkel dieser Actionkameras, eine Gratüberquerung noch einmal todesmutiger ausschauen lässt) in den Sozialen Medien als ein cooles Beispiel dafür gelesen wird, wie lässig doch dieses Trailrunning sei. Das jedenfalls hat auch Pauli Trenkwalder notiert: „Viele nehmen sich heute gar nicht mehr die Zeit, sich auf neue Herausforderungen, auf neue Erfahrungen einzulassen und sich die Zeit dafür zu nehmen. Früher kamen zu uns Bergführern Leute mit wirklicher Erfahrung, um den nächsten Schritt zu wagen. Heute wollen manche von Null auf Viertausend, mindestens. Im nächsten Jahr sind sie dann schon wieder beim nächsten Lifestyle-Trend angekommen.“

Sich spüren müssen

Unsere Leidenschaft für die Berge, sagt Philipp Felsch. Kulturphilosoph aus Berlin und als solcher vor einigen Jahren etwa mit einer Ausstellung zur Geschichte des Deutschen Alpenvereins betraut, sei eben immer auch eine Reaktion auf einen zunehmend modernen, abstrakten Alltag gewesen. „Eine Suche nach dem Archaischen, das ein Bürojob nicht mehr bieten kann.“ Vielleicht sei diese    Sehnsucht, dieses „Sich spüren müssen“ ja immer noch mit uns unterwegs – wenn vielleicht nicht Bewusst, aber unbewusst. Deshalb eine Mail an Jonathan Albon, einem der weltbesten Trail- und Obstaclerunner und etwa Sieger der Glen Coe Skyline, mit dem ich vor rund drei Jahren ein sehr erhellendes Interview über die Unterschiede der beiden Sportarten, zwischen eben der Glen Coe Skyline und einem Spartan Race geführt habe. Jonathan Albon schreibt mir: „Die Leute hängen bei einem Hindernisrennen an irgendwelchen Seilen, tauchen durch den Schlamm, hangeln sich über vermeintliche Abgründe, erleben den Thrill ihres Lebens … und betreiben letztlich ein aufwendig inszeniertes Spektakel mit Sicherheitsnetz und doppeltem Boden. Dann laufen sie auf einem Trail nur ein, zwei Meter an einer Stelle vorbei, an der sie schwer, ja sogar tödlich stürzen könnten, und bekommen es vermutlich gar nicht mit.“

Andrea Huser, kreuzsympathische Schweizerin und nicht im Ansatz bekannt dafür, die Risiken ihres Sports und des alpinen Terrains zu unterschätzen, hatte auf einer alltäglichen Trainingsrunde im November 2020 in einem offensichtlich vereisten Bachbett den Halt verloren und war 140 Meter tödlich in die Tiefe gestürzt. „Das solche Unfälle passieren können, egal wie versiert oder wie achtsam wir unterwegs sind“, sagt Pauli Trenkwalder, „ist eine Erkenntnis, die jeder und jede haben sollte, der oder die in den Berge unterwegs ist. Ich glaube aber nicht, dass sich alle die Zeit oder die Muße für diese Erkenntnis nehmen.“

Was also eine Kernkompetenz für den Sport in den Bergen sei? „Die Reflexion und das Selbstbewusstsein, auch Nein sagen zu können.“ Nein, dieses Kletterstück ist mir zu schwer. Nein, dieses Tempo zu hoch. Ja, jetzt ist es an der Zeit für mich umzukehren.

Eine immerhin beruhigende Feststellung: Die auch aufgrund der nicht wegzuredenden Wettereskapaden zunehmend häufigere Entscheidung von Rennveranstaltern. Strecken umzulegen, zu verkürzen oder ein Rennen abzubrechen beziehungsweise ganz abzusagen, wird von den Teilnehmenden vor Ort und in den Sozialen Medien inzwischen entspannt bis verständnisvoll kommentiert. Nicht nur, weil es zuletzt zu einigen tragischen Unfällen kam. So wurde auf dem exponierten Kurs des Südtirol Skyrace 2019 eine norwegische Teilnehmerin tödlich von einem Blitz getroffen – kurz nachdem das Rennen bereits wetterbedingt abgebrochen war. Leider hatte sie die diesbezügliche SMS aber noch nicht gelesen. Mögen Einzelne vielleicht immer noch glauben, diese Gefahren seien ein Teil des Spiels (oder einfach nicht der Rede wert), scheint unsere Community also doch sehr gut aufeinander aufzupassen.

Einmal habe ich mich wissentlich, also willentlich, in Gefahr begeben. Auf dem Pfunderer Höhenweg in Zillertaler Alpen, noch immer einer der schönsten Trails, die ich je gelaufen bin. Ich hatte die Tour von Berlin aus geplant, im Internet. Ich kannte die Gegend. Also grob. Den Pfunderer Höhenweg kannte ich nicht. Also mit dem Nachtzug nach München und weiter mit dem Eurocity. Morgens um 10 Uhr war ich in Brixen und eine Stunde später schon auf den Trails. Am zweiten Tag und nach gut fünfeinhalb Stunden Laufzeit zwänge ich mich durch einen Spalt in den Felsen, die Gaisscharte, und werde mit einem traumhaften Panoramablick belohnt. Vor und auch unter mir, die Edelrauthütte, mein Nachtquartier, es sind allenfalls noch 50, 60 Minuten. Nur: Erst einmal geht es senkrecht hinunter. Eine blanke Wand und einige versetzt angebrachte Tritte, darüber ein Stahlseil, zum Festhalten und vor allem zum Einhaken. Nur habe ich nichts zum Einhaken dabei. Was tun? Umkehren und irgendwann im Stockdunklen wieder die Brixener Hütte erreichen, meine heutige Mittagsrast? Und: Habe ich dafür überhaupt genug Energie? Finde ich noch irgendwo einen Riegel? Was traue ich der halben Schinkensemmel in meinem Trailrucksack zu?

Ich habe mich stattdessen auf einen Felsvorsprung gesetzt. Habe drei, vier Minuten ruhig ein und vor allem ausgeatmet. Und mich dann in die Wand gewagt. War letztendlich gar kein Problem. Bis heute bin ich nicht stolz auf diese Aktion.

Strecken umzulegen, zu verkürzen oder ein Rennen abzubrechen beziehungsweise ganz abzusagen, wird von den Teilnehmenden vor Ort und in den Sozialen Medien inzwischen entspannt bis verständnisvoll kommentiert.

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| Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Angst und die Dunkelheit

By Interview
Interview erschienen in Bergerleben

Die Psyche und die Nacht am Berg

Stell dir vor, du stehst alleine im Wald. Es ist dunkel und deine Pupillen sind geweitet, um das wenige, noch vorhandene Licht aufzunehmen. Du hast keine Taschenlampe dabei, auch kein Mobiltelefon, um Licht ins Dunkel zu bringen. Wie wird dein Körper und deine Psyche reagieren?

Mit Sicherheit wird dein Sehsinn, der durch die Dunkelheit wenig Information bekommt, vermehrt durch deinen Gehörsinn unterstützt. Auf einmal hörst du mehr und differenzierter als sonst. Du wirst spüren, dass dein ganzer Körper aktionsbereit ist. Deine Muskeln sind angespannt, dein Herz schlägt schneller und du bist bereit wegzulaufen oder anzugreifen.

Denn, was da im Dunkeln hinter dem Busch ist, ist ungewiss. Unsicherheit macht Angst. Die Fantasie ist meist schlimmer als die Realität.

Früher, bei den alten Griechen, war es mit der Angst deutlich einfacher. Da lag die Zuständigkeit für Angst beim Gott des Waldes und der Natur Pan. Ein Mischwesen aus Menschenoberkörper und Ziegenbock. Pan wurde von den Hirten verehrt, lebte im Wald und in den Bergen und liebte die Mittagsruhe. Wenn man ihn zu dieser Stunde störte, so konnte er sehr ungehalten werden und versetzte Schafherden in panischen Schrecken. Daher kommt der Begriff „Panik“ , welcher eine starke intensive Angst beschreibt. Übrigens erfand Pan liebestrunken auch die „Panflöte“.

Zurück in den dunklen Wald und die aufkommende Emotion Angst. Nach den Erklärungen der alten Griechen konnte die körperliche Empfindung und das Wahrnehmen von physischen und psychischen Reaktionen bezüglich Angst und Sorge, nur damit zu tun haben, das hinter irgend einem Busch der Gott Pan lauert. Sonst würde man Angst ja nicht verspüren. Eine hervorragende Idee, Angst auszulagern.

Heute wissen wir, Angst und wie man darauf reagieret und damit umgeht, hat mit einem selbst zu tun.

In der Psychologie gilt die Angst als das am frühesten entwickelte Gefühl. Schon als Säugling, dann als Kleinkind und später als Heranwachsender erleben wir Angst als emotionale Reaktion im Erleben unserer Umwelt und in Beziehung mit unseren Nächsten. Neben der rein existentiellen Angst in gefährlichen Situationen erleben wir schon sehr früh die Angst vor dem Verlust der Bezugsperson und vor dem Verlust der Liebe der Bezugsperson. Im Heranwachsen erfahren wir die Angst vor dem Verlust der Selbstbestimmung und später die Angst vor der Hingabe. Die kindliche Lerngeschichte mit diesen Beziehungsängsten determiniert weitgehend unsere spätere Persönlichkeitsentwicklung. Unser erlernter Umgang im Vermeiden von angstauslösenden Situationen prägt unser habituelles Verhalten im Erwachsenenalter.

Es ist nicht nur die Dunkelheit die uns Angst machen kann. Beim Klettern und Bergsteigen begegnet sie uns immer wieder, sie ist im Hintergrund immer irgendwie dabei. Die Erscheinungsformen und Ausprägungen sind dabei so unterschiedlich wie wir Menschen und unser Tun in der Vertikalen. Der Aspekt der Gefährdung, des Risikos für Leib und Leben produziert Angst. Das Spektrum der Gefahr reicht von echter Todesgefahr, wie etwa beim Soloklettern, bis hin zur rein subjektiven Flugangst beim gut gesicherten Sportklettern. Aber ob Höhenangst oder Todesangst, die tatsächliche Gefährdung hat wenig Einfluss auf unser subjektives Angstgefühl. Die gefühlte Intensität erstreckt sich von leichter Erregung bis hin zur Panikattacke.

Mit Blick auf die Evolutionspsychologie stellt die Nacht eine Gefahr dar, gleichzeitig schütz die Dunkelheit auch. Schon oft erlebte ich sie unterstützend, besonders dann, wenn sie den Blick in die Tiefe versperrt. Manch ein Gast der im Vorfeld voller Sorge auf die bevorstehende Tour war, schilderte mir im Nachhinein, dass er über die Finsternis im Aufstieg froh war. So konnte er den Abgrund nicht sehen und ohne Ablenkung über den Felsgrad klettern.

Der bergsteigende Mensch ist ein erfahrener Experte im Umgang mit Angst und die Zurückdr.ngung derselben. Das Unterdrücken von Angst kostet Kraft und Energie. Letztendlich ist Höhenangst eine biologisch eingeprägte psychische Reaktion und die Angst vor der Dunkelheit wurzelt in unserer Evolution. Diese Ängste haben jeher unser Überleben gesichert.

Wie oft durchschreiten wir die Nacht auf dem Weg zu unserem Bergziel? Es ist der Sternenhimmel, die blaue Stunde und der Sonnenaufgang der uns belohnt. Und wie bei allen Themen im Umgang mit der Angst, sollten wir auf die Dosis achten, der wir uns aussetzen.

Pauli Trenkwalder
Bergführer und Psychologe

www.paulitrenkwalder.com
www.menschundberge.com

 
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| Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Die Couch steht in den Bergen

By Interview
Interview erschienen in SNOW, das Skitouren-Magazin

Der Bergflüsterer

Pauli Trenkwalder ist Psychologe und Bergführer. Da liegt es nahe, dass er sein Besprechungszimmer in die Berge verlegt hat. Mit der SNOW spricht der Mountain Addict über seine Leidenschaft, warum der Gipfel nicht das Ziel ist und seine Couch am Berg.

Interview
Christian Riedel
Fotos
Pauli Trenkwalder

Bei jedem Ausflug in die Berge fühlt man sich glücklich. Der Kopf ist frei und die Probleme des Alltags sind vergessen. Meistens ist es dann egal, ob die Sonne scheint oder Schnee fällt, ob man auf der harten Piste ins Tal fährt oder einen Aufstieg durch unverspurten Schnee auf einen Gipfel unternimmt. Solange Berge um einen herum stehen, gibt es keine Sorgen, keine Probleme und keine schlechte Laune. Für viele sind Berge die beste Therapie. Das hat auch der Südtiroler Psychologe und Bergführer Pauli Trenkwalder erkannt. Er nutzt den Einfluss, den die Berge auf die Menschen haben und bietet Beratungen im Rahmen einer Wanderung, einer Klettertour und im Winter beim Skitourengehen an. Statt wie sonst bei einer psychologischen Beratung auf einer Couch im meist doch recht tristen Besprechungsraum zu liegen, finden bei Pauli die Sprechstunden am besten bei Sonne und 40 Zentimetern Neuschnee statt. Wir haben mit dem Psychologen über seine ungewöhnliche Arbeit gesprochen.

SNOW: Ist ein Berg auch irgendwie ein Therapeut?

Pauli: Das ist eine spannende Frage. Ich bin ja Psychologe und biete Beratung und Coaching. Der Berg therapiert ja nicht. Das ist eben die Arbeit des Therapeuten oder Psychologen. Aber der Berg bildet in meiner Arbeit den Rahmen. Ich bin gern draußen in der Natur und in den Bergen, beim Skifahren, Klettern oder Bergsteigen. Der Berg therapiert hier wie gesagt nichts. Aber die Personen, die zu mir kommen, haben das Thema Berg schon positiv besetzt, weil sie von sich aus schon gerne in die Berge gehen. Wir haben mit der Vorliebe für die Berge eine Gemeinsamkeit. Das schafft direkt eine gewisse Beziehung zwischen uns. Wenn sie nun ein persönliches Anliegen haben, das sie mit mir besprechen wollen, fällt es den meisten durch diese Gemeinsamkeit leichter, über ihr Anliegen zu sprechen, an einem Ort, an dem sie sich wohl fühlen.

Wie kam das denn zustande?

Ich bin Bergführer und habe Psychologie studiert. Ich habe mich in der Forschung mit Menschen beschäftigt, die viel in den Bergen unterwegs sind. Irgendwann hat es sich ergeben und es liegt ja auch nahe. Ich biete ja keine Therapie an. Mein Angebot geht an die Menschen, die noch nicht zum Therapeuten müssen, weil sie klinisch gesehen psychisch erkrankt sind, sondern Fragen, Probleme oder ein persönliches Anliegen haben, bei dem sie alleine nicht weiterkommen und daher darüber sprechen wollen. Aber eben nicht mit einem Freund oder jemand aus der Familie, sondern mit jemand Externem. Diese Themen sind meist privater oder beruflicher Natur, aber meistens vermischt sich das sowieso.

Hast Du denn jemals in einer Praxis gearbeitet?

Wenn man so will, ist meine Couch am Berg. Das ist auch eine Rückmeldung, die ich oft von meinen Kunden bekomme. In einer Praxis ist man knapp eine Stunde mit einem Coach oder Therapeuten sozusagen eingesperrt und dann trifft man sich eine Woche später wieder. Ich bin mit meinen Kunden den ganzen Tag unterwegs. Da hat man viel mehr Zeit, die Themen zu bearbeiten. Wir machen auch viele lange Pausen oder gehen langsam. In der Zeit kann viel passieren. Man denkt ja nach und beschäftigt sich mit dem, was besprochen wurde oder was ich gefragt habe. Zwischen den Pausen hat man dann beim Tourengehen die Möglichkeit, sich mit dem Gesagten intensiver zu beschäftigen. Dann ist man natürlich von einer Landschaft umgeben, der man positiv gegenüber steht. Und diese Natur wirkt auf einen positiv ein. Weil wir dann so viel Zeit haben, kann man auch mal den Blick schweifen lassen und die Natur in sich aufsaugen. Alleine das hilft schon vielen, die das dann als Erleichterung empfinden. Wenn wir ein einem Raum sitzen, schauen wir uns immer gegenseitig an. Beim Tourengehen kann man den Blick durch die Natur schweifen lassen. Was eben den Kopf frei macht.

Vereinfacht gesagt bucht man bei Dir eine Skitour, wobei Du während der Tour dann versuchst, mit Fragen oder im Gespräch den Problemen auf den Grund zu gehen?

Jein. Wenn ich klassisch als Bergführer arbeite, habe ich nur den Auftrag, dem Kunden einen schönen Tag zu bieten. Wenn aber ein Mensch kommt, der mit mir über ein bestimmtes Thema sprechen will, dann machen wir erst einmal ein Erstgespräch, entweder persönlich oder per Telefon, wenn der Kunde weiter weg wohnt. In diesem Erstgespräch versuche ich zunächst herauszufinden, um was es genau geht und ob ich das bearbeiten kann und wenn ja, wie wir das am besten angehen. Zudem müssen wir beide auch herausfinden, ob man miteinander kann. Sonst wird man keinen Erfolg haben.

Dann stellen wir fest, was genau der Auftrag ist und entsprechend wähle ich aus, was für eine Unternehmung am besten dazu passt. Ob wir also spazieren gehen, klettern oder auf Skitour gehen. Es muss eben zur Situation passen.

Wovon hängt das dann ab?

Ich begleite Menschen über Jahre. Und das muss man dann wie eine Waage sehen. Manchmal ist das Bergziel im Vordergrund. Eine schöne Skitour beispielsweise und das psychologische Thema ist eher klein. Das Thema ist dann nicht direkt im Vordergrund. Vielleicht hat der Kunde noch zwei oder drei kleine Fragen und muss noch was klären vom letzten Mal. Manchmal ist das Bergziel im Hintergrund. Manchmal ist das psychologische Thema sehr dringend und wichtig. Vielleicht sogar belastend. Hier wähle ich Ziele, bei denen man sich auf das Gespräch konzentrieren und vielleicht auch nebeneinander gehen kann. Dann kann mich schlecht auf den Mensch und die Tour gleichzeitig vollkommen einlassen. Ich kann schlechter zuhören, wenn ich mich auf einen Hang mit hoher Lawinengefahr oder eine Sicherung am Berg konzentrieren muss. Dann gehe ich lieber wandern.

Mit welchen Problemen kommen die Menschen dann zu dir?

Zu mir kommen oft Führungspersönlichkeiten oder Menschen, die ein Unternehmen leiten. Hier geht es oft um Arbeitsthemen, die sich auf Beziehungen auswirken. Oder es ist anders herum, dass sie mit Beziehungsproblemen kommen, die auch Einfluss auf die Arbeit haben. Oft geht es um Entscheidungen, gerade auch, wenn man Dinge im Leben ändern will und wie man das dann am besten macht. Manchmal sind es auch konkrete Beziehungsprobleme, Unzufriedenheiten oder Unsicherheiten. Ängste und schwierige  Situationen sind auch oft ein Thema. Selten habe ich Athleten aus dem Sport, die mit ihren Problemen zu mir kommen. Teilweise sind es noch Probleme in der Familie, beispielsweise wenn es um eine Firmenübergabe an die nächste Generation geht.

Musst Du deinen Kunden teilweise erst einmal das Tourengehen beibringen, bevor ihr dann ins Gespräch kommen könnt?

Wer zu mir kommt, weiß was er tut. Er muss schon eine positive Beziehung zu den Bergen haben, sonst klappt es mit der Beziehungsbildung nicht. In dem Bereich der Psychologie ist es für viele Leute eine große Hemmschwelle, sich Hilfe zu holen. Und wenn sie merken, dass wir beide bergaffin sind, fällt es vielen leichter, sich bei mir Hilfe zu holen. Ich spreche ja Menschen an, die rein medizinisch keine Hilfe brauchen, aber trotzdem Hilfe suchen. Wenn wir den Berg als gemeinsame Leidenschaft sehen, sind wir dann Gleichgesinnte, die man eher um Rat fragt. Wir sprechen hier auch von niederschwelligen Angeboten.

Oft reicht es schon, die Berge zu sehen, um glücklich zu sein. Warum haben die Berge so einen großen, positiven Einfluss auf unsere Psyche?

Für viele ist es ein Sehnsuchtsort, weil man in den Bergen seine Freizeit verbringt, seinen Sport ausübt und eben Dinge tut, die Spaß machen. Wenn man sich dann da den ganzen Tag sportlich betätigt, spürt man am Abend eine körperliche Müdigkeit. Und immer, wenn sich Menschen anstrengen und Ziele wählen, die zwar fordernd aber nicht überfordernd sind, stellt sich abends ein Glücksgefühl ein, teilweise sogar ein Flow-Gefühl aber zumindest ein Wohlbefinden. Das kann dann eine 1.200 m Skitour oder eine Powderabfahrt sein. Das Erleben und das Gefühl, sich zu erholen, ist immer da. Die Menschen erleben auch eine Gesundheitsförderung. Und die Natur ist ein Resonanzraum. Der Körper spürt Wärme oder Kälte, er ist im Kontakt mit Schnee. In der Großstadt hat man das nicht. Das fühlt sich gut an.

Gehst Du denn auch privat auf Skitour?

Sicher. Wenn ich nicht mehr in die Berge gehen würde, wenn mich das nicht mehr motiviert oder glücklich macht, dann kann ich auch meine Arbeit an den Nagel hängen. Ich gehe auch viel alleine in die Berge, um mich zu erholen. Ich habe dann andere Ziele und überlege aber auch, was mir wichtig ist und was ich machen muss, damit es mir gut geht.

Bist Du auf Skitour dann auch Dein eigener Coach?

Ich mache das jetzt nicht bewusst, dass ich mir Dinge vornehme, über die ich nachdenken will. Aber alleine in der Natur denkt man eben viel über sich nach. Das ist bei mir nicht anders. Was neurobiologisch passiert hat auch der Psychologe Arne Dietrich erklärt. Wenn man gleichbleibenden Tätigkeiten nachgeht, wie eben Skitour Gehen, muss ein Teil des Gehirns nicht mehr so viel nachdenken, also wenn man nur einen Fuß vor den anderen setzt. Das System fährt Bereiche runter und der andere Teil ermöglicht es im Gehirn, dass man sich mit anderen Dingen beschäftigen kann, ohne dass man das jetzt so ganz bewusst macht. Dieser Teil hat dann eine höhere Aktivität. Das führt meistens dann dazu, dass man Lösungswege findet oder tolle Ideen hat, an die man in dem Moment gar nicht gedacht hat, die sozusagen mental hinten über gefallen waren. Kreative Menschen, die an einem Tisch sitzen und krampfhaft etwas finden wollen, werden selten erfolgreich sein. Zündende Ideen kommen dann eher in Momenten, an denen man nicht unbedingt damit rechnet. Gleichbleibende Bewegungen gehören hier eben auch dazu. Und das kommt mir eben auch zu Gute, wenn ich in meinen Gedanken versinken kann.

Wie wichtig ist denn bei deinen Gesprächen beispielsweise ein erfolgreicher Gipfelsturm auf einen 3.000er?

So etwas kann schon helfen. Bei Selbstzweifeln oder Entscheidungsproblemen kann so ein Gipfelsieg zusätzliches Selbstvertrauen bringen. Ich habe aber teilweise auch stark getriebene Personen, die viel schaffen wollen, auch viel erreichen, sehr erfolgreich sind und viel Energie haben. Die sind nach einer langen Tour eigentlich schon müde. Aber wie sie sonst im Berufsleben alle ihre Probleme sofort lösen wollen, wollen sie beim Tourengehen unter allen Umständen und unbedingt auf den Gipfel. Dann sage ich, dass das jetzt nicht geht. Es ist zu viel nicht mehr sicher oder es geht eben nicht. Dann bin ich derjenige, der diese Workaholics auch einmal einbremst. Diese Rückmeldung bekommen sie in ihrem Umfeld nicht. Es ist schön, wenn man den Leuten ein Erfolgserleben bietet, aber es kann eben auch mal sehr lehrreich sein, wenn man ein Ziel nicht erreicht.

Was machst Du denn sonst, wenn Du nicht gerade Menschen vom Gipfelsturm abhältst?

Ich versuche, so viel Zeit wie möglich mit meiner Familie zu verbringen! Wir gehen dann zusammen in die Berge, weil es uns gut tut. Sonst helfe ich beim Testen neuer Bindungen bei ATK. Das ist eine junge Firma voller Energie die innovative Produkte bietet. Hier kann ich als Berater im Hintergrund meine Meinung zu den Produkten geben.

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Selfie. Ortler, Südtirol | Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Der Berg als Couch

By Interview
Interview erschienen in All Mountain N°8

Der Berg als Couch

Wie wirken die Berge auf den Menschen? Und kann uns die Natur helfen, uns weiterzuentwickeln? PAULI TRENKWALDER (43) ist Bergführer und Psychologe. Er meint: „Die Berge sind eine tolle Couch!“

Seit Menschengedenken sind Berge etwas Besonderes. Manche sind sogar heilig. „Die Berge geben mir Energie“, sagt Pauli Trenkwalder, als er vor seinem Haus in Gossensaß südlich des Brenners steht und auf die Gipfel ringsum blickt. Sie sind ihm vertraut. Ein Stück Heimat. Und sie sind für ihn Arbeitsplatz. Als Bergführer. Und als Psychologe. Statt sie auf die Couch zu setzten, geht er mit seinen Klienten auf Tour. Die Berge als Heilmittel, als Kraftorte für Kopf, Seele und Geist? – „Da begibt man sich schnell auf den Pfad der Esoterik“, überlegt Pauli und fährt sich durch die wuscheligen Locken. Sein Blick auf die Berge ist eher pragmatisch. „Sie sind zunächst einmal Landschaft, ganz einfach. Sie sind keine Methode. Doch diese Landschaft wirkt auf uns Menschen. Man fühlt sich ausgesetzt, klein. Für manchen ist diese Exponiertheit den Naturgewalten gegenüber kaum auszuhalten, bisweilen gar beängstigend. Deshalb kommt es auf die individuell passende Dosis an. Die kann sehr unterschiedlich sein. Für den einen ist es eine entspannte Wanderung, für den anderen eine technisch, körperlich und geistig anspruchsvolle Kletterei in der Vertikalen. Doch allen gemeinsam ist: Nach gelungenen Unternehmungen fühlt man sich wohl. Natur tut gut.

Das mache ich mir zunutze, wenn ich Menschen als Psychologe berate. Bei Beziehungsproblemen, in Angstsituationen, bei schwierigen Situationen im Job oder wenn sie das Gefühl haben, im Leben neue Weichen stellen zu müssen. Wer zu mir kommt, ist in der Regel mit den Bergen vertraut. Südtirol bietet da ein ideales Umfeld. Die wilden Dolomitenmassive. Die sanften Almlandschaften. Das gute Essen, der Wein. Da ist es einfacher, sich zu öffnen. Und die Schwelle, mit einem psychologischen Berater durch die Berge zu streifen, ist niedriger, als in die Praxis eines Psychologen zu gehen. Dort, in einem abgeschlossenen Raum, können die Blicke nicht schweifen. Draußen dagegen fällt es leichter, Dinge auch mal sacken zu lassen, zu reflektieren. Gedanken weiterzuspinnen, ohne gleich eine Antwort parat haben zu müssen. Die Aufmerksamkeit ist hoch. Das erleichtert mir die Arbeit. Ich stoße Dinge an, lasse sie sich entwickeln. Einen direkten therapeutischen Nutzen der Berge sehe ich nicht unbedingt. Aber sie sind ein guter und effektiver Rahmen.

Meine Aufgaben als Bergführer und Psychologe trenne ich klar. Man muss kein Psychologe sein, um Bergführer zu werden. Aber in manchen Situationen hilft entsprechendes Wissen. Ich leite auch Seminare in der Bergführerausbildung. Einfühlungsvermögen, das Verständnis, warum sich Gäste wie verhalten und eine psychologische Analyse des Gruppenverhaltens sind wichtige Teile des Führens. Als Bergführer musst du voll und ganz den Menschen zugewandt sein. Genau wie als Psychologe. Es geht nicht um meine Ziele. Es geht darum, dass die Augen des anderen leuchten. Das kann anstrengender sein als eine Kletterei im Felsen. Deswegen ist es auch für mich wichtig, immer wieder zur Ruhe zu kommen, Energie zu sammeln, mich einzuordnen. Die Berge sind ein idealer Platz dafür – sei es bei anspruchsvollen Klettertouren mit Freunden oder gemütlich mit der Familie.“

Text: Christian Penning
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Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Hinter der Linse

By Interview
Interview erschienen in Aktiv in den Alpen

Psychologische Beratung am Berg

Schlicht und ergreifend. Schlicht in reiner Schönheit. Ergreifend in überwältigender Größe. Pauli Trenkwalders Bilder sprechen eine deutliche Sprache, so minimalistisch sie auch manchmal wirken. Der Südtiroler ist dabei kein typischer Fotograf, verknüpft jedoch in seinem Berufsleben geschickt zwei Branchen, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten. Als Bergführer und Psychologe geht er mit seinen Kunden raus. Auf die Wanderwege, in die Wände, auf die Gipfel seiner Heimat. Seine Couch seien nun mal die Berge, sein Arbeitsplatz, sein place to be.

Ebenso geschickt wie im Beruf, vereint Trenkwalder Berge und Menschen mithilfe seines Fotoapparates. Klein und zerbrechlich wirken da die Bergsteiger, fast schon verloren, oft in einer kolossalen Bergkulisse. Berge und Menschen. Menschen und Berge. In dieser Symbiose steckt viel mehr als nur Sport, Beruf und Freizeit. Dieses ungreifbare Etwas, meist nicht mehr als ein vorbeihuschendes Gefühl, hält Trenkwalder fest. Mit Geschick, einem geübten Auge, Feingefühl und Gespür für den richtigen Moment. Ach ja: Ein bisschen Glück darf dabei natürlich auch nicht fehlen!

Wir treffen Pauli Trenkwalder im Ridnauntal der Gemeinde Ratschings. Von hier ist es nur noch ein Steinwurf hinüber ins benachbarte Pflerschtal, wo der Psychologe gemeinsam mit seiner Frau und Tochter lebt. Der sportliche Südtiroler sitzt uns mit langen, lockigen Haaren und wachen Augen gegenüber. Dabei erzählt er, wie er zwei auf den ersten Blick völlig unterschiedliche Berufe vereint, welche Vorteile die Natur bietet, wenn man sie nur als Arbeitsplatz zulässt. Und er erzählt, dass seine eigentliche Aufgabe nicht das Erzählen, sondern vielmehr das Zuhören ist.

Hallo Pauli, was war zuerst da? Der Bergsteiger oder der Psychologe in Dir?

Die Leidenschaft, das Interesse war von beidem da. Das eine war ein Studium. Das andere entwickelte sich aus einer Leidenschaft. Aus dem Klettern. Aus dem Bergsteigen. Aus dem Tun. Beides zu verknüpfen war und ist für mich naheliegend. So weit voneinander entfernt sind die beiden Berufe gar nicht.

Wie genau sieht denn Dein Werdegang aus?

Ich schloss meine Bergführerausbildung und mein Studium fast gleichzeitig ab. In München folgte eine systemische Ausbildung, in Österreich eine klinische und gesundheitspsychologische. Natürlich arbeite ich heute auch noch rein als Bergführer. Aber die Kombination aus Bergführer und Psychologe macht einfach Sinn.

Was sind das für Menschen, die zu Dir kommen und Hilfe suchen?

Am ehesten lässt sich das vielleicht mit einem Zitat einer meiner Kundinnen beschreiben. Die leidenschaftliche Skifahrerin sagte mir auf einer Skitour, dass sie glaube, wenn ihr Herz aufgehe, wie in diesem Moment kurz vor der pulvrigen Abfahrt, dann gehe ja auch viel leichter etwas in dieses Herz hinein!

Worin genau besteht dieser Sinn?

Ich beschreibe mein Tun als niederschwelliges, psychologisches Angebot. Wer beispielsweise berufliche oder private Entscheidungen treffen muss, wer so etwas gerne extern besprechen möchte, der ist bei mir gut aufgehoben. Gemeinsam gehen wir dann raus. Oft sprechen wir dabei über Stunden nichts. Das sind wertvolle Momente. Manchmal höre ich auch nur zu. Die Menschen, die zu mir kommen haben ja keine psychische Erkrankung. Sie brauchen keine Therapie, sondern eine Unterstützung, eine Hilfestellung in einer schwierigen Situation.

Nutzt Du also bewusst die Wirkung der Natur auf den Menschen?

So kann man das nicht sagen, nein. Mit Dingen wie Waldbaden oder der Heilkraft der Natur kann ich nur wenig anfangen. Was ich mache ist ja kein Hokuspokus. Das Setting, also der Rahmen, in welchem die Gespräche stattfinden, sind die Berge. Da ist es erstmal zweitrangig, ob das nun ein Spaziergang, eine Bergwanderung, eine Kletter-, oder Skitour ist. Wichtig ist allein, dass einem das Herz aufgeht.

 An die eigenen Grenzen zu gehen ist dabei übrigens nicht nötig, meistens auch gar nicht förderlich. Viel wichtiger ist es, dass die Beziehungsebene zwischen dem Klienten und mir passend ist, eine Ebene, auf der man etwas gemeinsam hat. Im besten Fall bewegt man sich auf der gleichen Wellenlänge.

Kommen wir zur Fotografie: Deine Bilder lassen eine deutliche Stillinie erkennen. Wie würdest Du diesen Roten Faden beschreiben?

Zunächst entstehen meine Bilder fast ausschließlich in der Natur. In den Bergen. In der großen, weiten Landschaft findet der Betrachter nur ab und zu einen Menschen. Die Bilder sind daher meistens minimalistisch, ruhig und oft das Gegenteil von überladen.

Wie findest Du solche Momente und Motive? Wie entstehen diese Bilder?

Den Fotoapparat habe ich keineswegs immer beim Führen dabei. Das ist oft nur schwer unter einen Hut zu bekommen – der Kunde will schließlich nicht alle fünf Minuten auf mich warten müssen. Fotografieren braucht wie das Führen einfach sehr viel Zeit. Manchmal drehe ich aber zum Beispiel noch eine abendliche Runde um die Hütte, wenn meine Gäste versorgt sind. Das ist dann meine Zeit. Da bin ich nur für mich unterwegs. Ich plane höchst selten ein bestimmtes Motiv. Durch meine Berufe habe ich das Glück so oft in der Schönheit der Berge unterwegs zu sein, dass mich meine Motive manchmal sogar geradezu anspringen. Das ist oft auch reines Glück, was mich dann natürlich ganz besonders freut.

Ist diese Zeit für Dich dann „Deine Freizeit in den Bergen“?

So kann man das sehen, ja. Im Gegensatz zum Führen, ist bei rein privaten Touren die Kamera immer dabei. Das entspannt mich und holt mich oft wieder zurück. Dazu gehört aber nicht nur das Fotografieren als solches, sondern auch die Nacharbeit am Computer. Die Sichtung und Bearbeitung gehören ja auch dazu. Dieser Prozess, das Bild anzuschauen, um beispielsweiße zu kontrollieren, ob man es so hinbekommen hat, wie man es sich im Gelände gedacht hat, das gehört einfach zum Ganzen. 

Wie sieht Deine Fotoausrüstung aus?

Im Moment fotografiere ich mit einer Sony Alpha 7R IV. Das ist eine Kamera, die ich natürlich gar nicht ausreizen kann. Ich bin ja kein Fotograf. Eine gute Kamera und gute Objektive sind mir aber dennoch wichtig – die technischen Fähigkeiten aber sind bei meiner Art der Fotografie nicht unbedingt vordergründig nötig. Beim Führen nutze ich sogar manchmal einfach nur schnell das Handy. Das reicht oft schon aus. Gute Fotos wirken aufgrund eines ausgeglichenen Bildaufbaus. Aufgrund von Tiefe und der richtigen Wahl des Bildausschnittes. Egal ob es nun mit dem Handy oder einer professionellen Kamera aufgenommen wurde.

Thema Nachbearbeitung: Wo ziehst du da die Grenzen?

Ich habe zwei gute Freunde, die echte Fotografen sind. Der eine spricht sich für eine umfangreiche Bearbeitung all seiner Bilder aus. Der andere ist absolut dagegen. Richtig und falsch gibt es da nicht. Wenn ich eines meiner Bilder in ein Schwarzweißfoto verwandle, dann habe ich es aber auch schon maximal bearbeitet, oder? 

Ich belichte meine Bilder gerne mal über. Das ist auch eine gewisse Art der Bearbeitung der Wirklichkeit, die allerdings schon in der Kamera passiert. Sicher drehe ich auch im Nachhinein ein wenig an den Reglern. Aber wenn zum Beispiel im Hintergrund eine störende Seilbahnstütze zu sehen ist, dann retuschiere ich diese aus zwei Gründen nicht aus dem Bild. Erstens kann ich das gar nicht und zweitens ist auf meinen Fotos nur eine Seilbahnstütze zu sehen, wenn sie auch zu sehen sein soll.

Neben der Fotografie gibt es auch einige Bewegtbilder, die mit deiner Hilfe entstanden sind.

Das stimmt. Meine Arbeit spielt sich dabei allerdings meistens hinter den Kulissen ab. Ich berate Filmteams, wenn es beispielsweise um Sicherheitsfragen geht, oder darüber was möglich ist und was nicht. Das geht vom Einschätzen der Wetterlage bis zum Sichern der Kameramänner. Und nicht zuletzt war ich auch schon als Double im Einsatz.

Der Film war eine beeindruckende Erfahrung für mich. Es ist spannend zu sehen, wie ein derart großes Team funktioniert. Besonders in Erinnerung ist mir da die Arbeit mir Joseph Vilsmaier und Reinhold Messner für ihren Film Nanga Parbat geblieben. Der Film erschien 2010. Heute spielt die Filmarbeit für mich eine untergeordnete oder sogar überhaupt keine Rolle mehr.

Besten Dank für deine Zeit und alles Gute in den Bergen!

Interview: Benni Sauer
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Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Ich kann nicht mehr!

By Interview
Interview erschienen in …

Ich kann nicht mehr!

Auf Berge zu steigen, ist zunächst einmal: anstrengend und nutzlos. Dennoch wandern und klettern immer mehr Menschen auf Gipfel. Was gibt ihnen der schweißtreibende Weg in die Höhe? Eine psychologische Spurensuche auf einer Bergtour mit der Familie.

Dicke, gelbe Blüten durchtupfen die saftigen Almwiesen. Ein milder Wind wogt das Meer aus Halmen und Blumen. Über den Himmel ziehen ein paar Wolken von watteweicher Kuscheligkeit. Ein Bach plätschert gen Tal, Enzian wächst am Wegesrand, Blaubeersträucher schmiegen sich an Felsbrocken. Schmetterlinge taumeln durch die Schatten der großen Fichten, Lärchen, Kiefern und anderen Bäume, die ihre ausladenden Äste über die Hänge breiten. Am Horizont ragen die Felsformationen der Dolomiten empor. Ist das dort der Peitlerkofel oder der, die, das Furchetta? Die Gipfel-App auf dem Smartphone streikt, das Netz hier oben schwächelt, ein Glück. Sommer in Südtirol, Sommer in den Bergen, die Morgenluft ist frisch und klar, nirgends kann es gerade schöner sein als hier in den Bergen.

„Ich kann nicht mehr“, jammert der sechsjährige Sohn.

Der Aufbruch liegt maximal zehn Minuten zurück, welche das sechs und zehnjährige Brüdergespann genutzt hat, sich um die Kamera zu streiten.

„Wir sind gerade erst losgegangen“, jammert der Vater und fasst den Vorsatz, entspannt zu bleiben.

„Kindgerecht“ soll diese Tour sein. Zwar befindet sich die Familienwandergruppe auf etwa 2000 Metern Höhe. Aber die Wege verlaufen fast eben durch Almwiesen, nur selten geht es kurz bergauf. Das nächste Ziel ist eine Portion Kaiserschmarrn auf einer Hütte in, großzügig geschätzt, eineinhalb Stunden Entfernung.

„Warum muss man in den Bergen wandern gehen?“, legt der Sechsjährige nach.

Da pikst der Junge den Vorschulfinger in eine Grundwunde des Alpinismus. Er äußert eine Frage, die sich stellt, wenn Extremsportler ihr Leben riskieren. Eine Frage, die sich vor Bergsteigern ohne Hochleistungsambition auftürmt, wenn auf einer Tour die Erschöpfung gnadenlos einsetzt. Eine Frage, die sich Kinder stellen, wenn sie mit ihren Eltern in den Bergen ein bisschen wandern sollen: Wozu steigt ein Mensch auf einen Berg, wo es doch auch im Tal Kaiserschmarrn gibt?

„Um Gott zu finden“, soll der italienische Dichter Francesco Petrarca 1335 gesagt haben, dessen Besteigung des Mont Ventoux oft als Geburtsstunde des Bergebesteigens um seiner selbst willen verklärt wird.

„Weil er da ist“, lautete die berühmte Antwort des britischen Alpinisten George Mallory, als er nach seiner Motivation zur Bezwingung des Mount Everest befragt wurde, an dem er 1924 verscholl.

Weil er als Mann „keine Kinder bekommen“ könne, soll Reinhold Messner einmal gesagt haben.

„Weil es schön ist“, sagt der Vater zu seinem Sohn.

„Es ist nicht schön“, sagt der Sohn.

Zwischenfazit nach einer halben Stunde Familienwanderung: Was Menschen in den Bergen suchen und finden, klärt sich nur mühsam auf. Die gängige Bergliteratur liefert ebenfalls nur einen zarten Hinweis. Alpinisten der Gegenwart verbrämen ihre Expeditionen als quasispirituelle Klettertour zu sich selbst: Wo Petrarca noch den lieben Gott suchte, erwarteten Bergsteiger heute die Wunschversion ihres Ichs. Auch das lässt sich als zeitgeistiger Ausdruck von Ratlosigkeit lesen. Es zeigt aber: Die Berge und die Bewegung in ihnen wirkt auf die Psyche des Menschen, offenbar vor allem auf positive Weise.

 Weiß die Wissenschaft die Route zu tieferen Einsichten?

Die unmittelbare Sinnlosigkeit, auf einen Berg zu steigen, hat den Verhaltensökonomen George Loewenstein einmal dazu verleitet, einen klassischen Aufsatz über die Motivation von Bergsteigern zu schreiben. Die Ökonomie frage ja stets nach dem reinen Nutzen von Gütern, Erfahrungen oder Transaktionen, so der Forscher. Die Grundannahme lautet: Menschen entscheiden sich für Dinge, die sie mögen. Aber ernsthaftes Bergsteigen sei sehr oft eine elende Erfahrung, so Loewenstein, Kälte, Nässe, Erschöpfung, Hunger, Durst, Angst, Erfrierungen, quälend lange Märsche, um dann quälend lange Klettereien anzutreten. Das widerspricht dem klassischen ökonomischen Denken.

 „Ich kann wirklich nicht mehr“, sagt der Sechsjährige.

Es braucht keine Expedition. Auf den Nanga Parbat, um zu begreifen: Unmittelbarer Spaß ist eine Tour in die Berge selten. Diese Erkenntnis liefert auch eine Tour mit Kindern. Aber die Lust am Bergsteigen speist sich aus genau diesem Paradoxon: Es ist großartig, weil es so schrecklich sein kann. Die nötige Anstrengung könnte, so zeigt psychologische Forschung, sinnstiftend wirken. Das leicht Verfügbare gibt rasche Zufriedenheit, das Schwere und die Überwindung schenken hingegen Gefühle von Sinn und Stolz. Vielleicht ist das ein klitzekleines bisschen damit vergleichbar, Kinder zu haben: Es ist anstrengend, es kostet Kraft, Schlaf, Energie, Nerven, Zeit – und es ist das Größte der Welt. Das akute Glück sackt müde zusammen, wenn die Kleinen fordern, nerven, nölen, das Leben aber bekommt durch sie: einen Sinn.

Aspekte davon stecken womöglich in dem Drang, Gipfel zu besteigen. Zum Sehnsuchtsort bewegungswilliger Massen haben sich die Berge schließlich erst parallel zum Rückgang körperlicher Plackerei im Alltag entwickelt. Es waren englische Adelige, die vor gut 200 Jahren den Alpinismus in die Alpen brachten. Die Lords von der Insel sahen einen Abenteuerspielplatz. Für die Bewohner vor Ort waren die Berge hingegen etwas Bedrohliches, etwas Lebensfeindliches, dort hausten Dämonen. Und wozu braucht es Freizeitschinderei, wenn das Leben ohnehin aus Hunger, Erschöpfung, Kälte und harter Arbeit besteht? Womöglich ist das Bergsteigen eine Simulation dieser überwundenen Alltagshärten. Die schlimmsten Erfahrungen auf solchen Touren erzeugten die besten Erinnerungen, schreibt Loewenstein. Überstandene Zumutungen verklären sich zu intensiven Erinnerungen.

Der Sechsjährige fängt an zu singen. „Last Christmas“ von Wham! Wirklich. Der schlimmste aller Weihnachtsohrwürmer. Sein Bruder fällt ein. Das nur lautmalerische Englisch ist herzzerreißend.

 Die Bewegung in den Bergen entspannt, manchmal sogar die Kinder. Studien legen nahe, dass Wandern und vergleichbare Aktivitäten Stress reduzieren, Anspannung lösen und das Denken lüften. Die Alltagsschinderei besteht heute für sehr viele Menschen weniger aus körperlichen Strapazen als aus Terminstress, Entscheidungsüberforderung und oft aus der Frage, welche von den unzähligen Möglichkeiten für Projekte, Arbeit, Freizeit nun ausgewählt werden sollen. Eine Bergtour reduziert diese Überforderung, weil sie die Zahl der Möglichkeiten radikal verkleinert. Es geht nur darum, das anvisierte Ziel zu erreichen.

 Erwachsene hören auf, über Vorgesetzte zu grübeln, und finden in die reine Tätigkeit des Gehens. Auch den Kindern gelingt das phasenweise: Statt ein paar Folgen „PawPatrol“ auf dem Tablet oder eine Portion Süßigkeiten einzumaulen, laufen sie, weil in den Bergen kaum andere Möglichkeiten der Bespaßung bestehen. Das Denken lockert sich. Der Rhythmus der Bewegung fördert Ohrwürmer, Ideen und Gedanken zutage, die im Alltag blockiert werden. Gelegentlich stellt sich dabei ein Zustand ein, den der Glücksforscher und Psychologe Mihály Csíkszentmihályi als „Flow“ bezeichnet hat: die völlige mentale Vertiefung in die aktuelle Tätigkeit. Der Rest der Welt blendet sich aus, es gibt nur mehr Bewegung, Schritt für Schritt, Kletterzug für Kletterzug.

„Ich bin der beste Diamantsucher der Welt“, sagt der Sechsjährige.

Die Kinder sammeln jetzt Steine. Quarzbrocken, glitzernde Kiesel, Hauptsache, es funkelt. Sie gehen auf in dem, was sie machen. Gestört wird dieser Flow kurz von der Diskussion, wer die vielen wertvollen Schätze für den Rest der Tour tragen soll. Der Rucksack des Vaters nimmt stetig an Gewicht zu. Doch die Landschaft lenkt davon ab. Im Schatten einer einsamen Kiefer steht eine Kuh und glotzt mit leicht irr hervorstehenden Augen herüber. Am Wegrand wächst Frauenmantel, auf dessen Blättern gebogene Wassertropfen die Sonne reflektieren. Am Horizont die Gipfel. Die Psyche profitiert von Zeit, die im Grünen, im Freien verbracht wird. Landschaften reduzieren Stress, heben die Laune und verbessern die Gedächtnisleistung. Diese Effekte sind nicht riesig und ein klarer Ursache-Wirkungs-Zusammenhang ist schwer zu belegen. Aber dennoch, die Abwesenheit von Verkehr und Reizüberflutung entspannt, die Bergkulisse weckt Gefühle von Erhabenheit und Ehrfurcht.

 „Wie lange müssen wir noch laufen?“, fragt der Sechsjährige.

Es ist nicht mehr weit bis zur Kaiserschmarrn verheißenden Hütte. Vielleicht noch eine halbe Stunde, zwischen Almen hindurch, vorbei an einem Berghof, vor dem Hühner scharren und ein kleiner Hund sich streicheln lässt. Das Ziel liegt jetzt vor Augen. Auch das ist ein Balsam, den eine Bergtour auf die Seele salbt: Ein definiertes Ziel kann so guttun. Eine Hütte, ein Gipfel, eine Route, egal ob Leistungsanspruch oder Spaziergang, es handelt sich um Vorhaben, deren Klarheit die Psyche entspannt. Ein erreichtes Ziel beeindruckt das Selbst, es lindert Zweifel. Natürlich gilt das auch für Extrembergsteiger, die gerade neue Rekorde durch die Todeszone erklettert haben. Aber es gilt auch für die Familienmitglieder, die nach einer Wanderung erschöpft die Bergschuhe aufschnüren und genießen, wie leicht sich die befreiten Füße nach Stunden in schweren Stiefeln plötzlich anfühlen. Und natürlich geht es auch um Ruhm. Wer von einer Bergtour erzählt, erntet mehr Anerkennung, als wenn er von einem Serienmarathon auf dem Sofa berichtet. Erst recht gilt das für das „Höher, schneller, gefährlicher“ des Extremalpinismus.

„Was ist der höchste Berg der Welt?“, fragt der Sechsjährige.

Die letzte halbe Stunde vergeht also mit Gesprächen über den Mount Everest und andere Riesen aus Fels. Kinder lieben Rekorde. Es geht um die Frage des Sohnes, ob schon einmal jemand an einem Achttausender abgestürzt ist und wer da überhaupt hinaufgekrabbelt ist. Die Rede kommt auf den allgegenwärtigsten aller Bergsteiger, Reinhold Messner, und darauf, dass auf den ganz hohen Bergen auch im Sommer Schnee und Eis liegen. Dann stehen wir auf einmal vor der Hütte. Der Kaiserschmarrn schmeckt großartig, hinter dem Haus laufen ein paar junge Schweine herum, die Kinder spielen, es ist herrlich. Was könnte es jetzt Schöneres geben, als hier in den Bergen zu sein? Nach dem Essen steht irgendwann der Rückweg an, das genau gleiche Programm noch einmal.

„Papa, ich kann wirklich, wirklich, wirklich nicht mehr!“

Es ist wunderbar in den Bergen.

„Angst gehört dazu“
Ein Bergführer und Psychologe über Risikoeinschätzung am Berg.

Draußen wird mit lauten Traktorengeräuschen das Heu gewendet, sodass Pauli Trenkwalder für das Videogespräch erst mal das Fenster schließen muss. Man erwischt ihn zwischen ein paar Touren zu Hause in Südtirol, wo er mit seiner Tochter und seiner Frau lebt.

SZ: Herr Trenkwalder, wie viel Angst muss ich am Berg haben, damit sich mein Ausflug danach richtig aufregend und befriedigend anfühlt?

Pauli Trenkwalder: „Ein bisschen Angst darf schon sein, es sollte aber nicht zu viel werden!“, sagen meine Gäste gern, wenn sie ihre Wunschtour beschreiben. Angst und Sorge, also Anspannung vor der Bergtour, trägt dazu bei, dass ein Erlebnis im Gedächtnis bleibt. Zur Befriedigung führt allerdings nicht der Grad an Angst, sondern das richtige Maß zwischen Unter- und Überforderung. Gleichzeitig brauche ich die Angst am Berg dringend, denn sie ermahnt mich zu Vorsicht und Fürsorge.

Ich meinte eigentlich nicht Vorsicht, sondern dieses Gefühl, das Menschen in den Bergen suchen, wenn sie immer krassere Sachen machen.

Ich verstehe, Sie meinen den Kick. Menschen suchen ja sehr Unterschiedliches am Berg. Aber wir alle haben das Bedürfnis nach abwechslungsreichen und neuen Eindrücken, dafür nehmen wir physische, psychische und soziale Risiken auf uns. Wenn wir uns beide auf der „Sensation Seeking Scale“ vergleichen, also der Suche nach befriedigenden Stimuli, haben wir ziemlich sicher nicht dieselbe Grundlinie, um den Kick zu finden. Das hat aber wenig mit dem Berg an sich zu tun.

Extrembergsteiger sind nicht stärker auf der Suche nach existenziellen Erfahrungen, als etwa Büromenschen?

Nein, Bergsteiger sind nicht grundsätzlich risikofreudiger oder weniger ängstlich als andere. Ob High oder Low Sensation Seeker, Profibergsteiger sind sich meist sehr bewusst, mit welchem Persönlichkeitsprofil sie im Gebirge unterwegs sind und welchem Risiko sie sich aussetzten. Die grundsätzliche Verknüpfung von Bergsport und Risikofreude ist für mich nicht stimmig.

„Die Verknüpfung von Bergsport und Risikofreude ist für mich nicht stimmig.“

Es scheint Sie zu nerven, wenn man die Verknüpfung zieht, also unterstellt, dass Extrembergsteiger irgendwie todesmutiger sein müssen als der Rest der Welt.

Sehen Sie, am Ende ist Bergsteigen, wie alles, eine Tätigkeit, die man auf sehr unterschiedlichen Stufen ausführen kann. Man kann als Anfänger in die Berge gehen und eine gute Zeithaben. Oder als Fortgeschrittener. Oder als Profi. Für den Profi ist Risikoabschätzung ein Teil seines Könnens, das er mit viel Zeit maximal zu perfektionieren versucht. Natürlich ist er da besser als der Hobbybergsteiger. Profis treffen bewusst die Entscheidung, sich einem höheren Risiko auszusetzen. Dass ein Nichtbergsteiger diese Entscheidungen nicht nachvollziehen kann, liegt in der Natur der Sache. Frauen und Männer, die das Bergsteigen auf hohem Niveau praktizieren, haben über viele Jahre unzählige Erfahrungen gesammelt und reflektiert. So können sie auf eine gewachsene Intuition zurückgreifen, um gute Entscheidungen zu treffen.

Ist diese Intuition für jeden erlernbar?

Ganz automatisch passiert das auf jeden Fall nicht. Nehmen wir eine Skiabfahrt über einen Hang, der lawinengefährlich sein könnte. Wenn Sie den Hang nicht abfahren, wissen Sie im Nachhinein nicht, ob Sie eine Lawine auslösen hätten können. Wenn Sie ihn abfahren und es passiert nichts, ist es aber noch komplizierter. Sie könnten denken, Sie treffen gute Entscheidungen, weil nichts passiert ist. Gleichzeitig wissen Sie nicht, wie nahe Sie dran waren an einem Lawinenabgang. Nur wer kritische und schwierige Situationen am Berg im Nachgang nochmals anschaut, reflektiert, sich mit anderen austauscht und mit Distanz auf das eigene Verhalten blickt, gewinnt Erfahrung mit hoher Qualität. Dies wirkt auf die eigene Intuition. Das ist aufwendig und kostet viel Zeit.

Wovor haben Sie selbst Angst?

Gewitter im Sommer, Lawinen im Winter – und alle Situationen, auf die ich kein Einfluss nehmen kann. Aber ich bin ganz gut darin, die Angst dann auszuhalten.

Fühlen Sie sich danach gut oder schlecht?

Das Zurückdrängen von Angst ist eine psychische Leistung und in gefährlichen Situationen am Berg eine sehr stimmige Reaktion. Die Erfahrung zu machen, dass man mit Angst umgehen kann, stärkt. So gesehen bin ich danach immer erleichtert. Es gibt aber auch Ereignisse, die akute oder posttraumatische Belastungsreaktionen auslösen. Angst gehört zum Bergsteigen dazu. Und man muss übrigens nicht bergsteigen, um glücklich zu werden.

Interview: Vera Schroeder
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| Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Felsenfest

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Felsenfest

Berge nützen dem menschlichen Geist und fördern die innere Einkehr. Aber muss man deshalb gleich mit einem Psychologen in Abgründe schauen? Unsere Autorin hat ein Angebot des Kastelruther Hotels Schgaguler getestet.

Von Esther Kogelboom

Meine Couch: der Berg, so lautet Pauli Trenkwalders Parole. Gerade ist aber die Couch seine Couch, der Psychologe und Bergführer sitzt auf einem lodengrünen Outline-Sofa von Muuto.

In der Bar des Schgaguler Hotels bleibt die Zeit stehen. Die scharfkantigen Eiswürfel aus der japanischen Hoshizaki-Maschine schmelzen extra langsam im Aperitivo, während draußen Nebelgardinen die Umrisse des Schlern – Massivs verhüllen.

Trenkwalder spricht mit der kleinen Reisegruppe über die Konsistenztheorie nach Grawe, ein Modell, das die psychologischen Grundbedürfnisse des Menschen beschreibt, und die Maslowsche Bedürfnispyramide. Er tippt sich schließlich an die Stirn: „Hier vorn im Hirnkaschtl, da ist der präfrontale Cortex, zuständig für Kontrolle und Orientierung.“

Hirnkaschtl-Ferien im Südtiroler „Kaschtelruth“, wie die Einheimischen ihr Bergdorf nennen. Das Schgaguler, gelenkt von vier Geschwistern in zweiter Generation, umgebaut von Architekt Peter Pichler, strahlt ohne Geranien und Herrgottswinkel. In unverblümter Klarheit und Konzentration ragt es, hellgrau wie Dolomit, zwischen den verschachtelten traditionellen Bauten des Dorfes heraus, höher ist nur der frei stehende, klassizistische Turm der Pfarrkirche St. Peter und Paul.

Das Angebot von Trenkwalder, zusammen mit vier Tagen Halbpension im Design- und Dinnerhimmel Schgaguler: „Grenzen erfahren – Grenzen erweitern“ in der Kleingruppe. Damit meint er nicht, eine neue Gin-Sorte zu probieren.

Früh am Morgen, Zanser Alm. Der präfrontale Cortex der Kletter- Anfängerin meldet: Das ist unmöglich. Steck den Helm wieder in den Rucksack, steig aus dem Klettergurt, lös’ die Karabiner und trinke den zweiten Cappuccino. Aber da ist etwas, das stärker ist. Die Arme sind es nicht. Vielleicht der Ehrgeiz, sich vor der Reisegruppe nicht zum Gespött zu machen, oder gar Abenteuerlust? Das Herz schlägt bis zum Kinn, acht Meter über dem schneebedeckten Boden an einer Felswand. Drüben hat vor kurzem eine Lawine ein Waldstück einfach umgeknickt. Die Finger krallen sich schwitzig in eine Rinne, die Füße sind irgendwo, wo es sich falsch anfühlt.

Der kleine Reinhold war schon mit fünf Jahren oben

Trenkwalder – Erstbegehungen großer Wände in Madagaskar, Mali, Namibia, Venezuela usw., leidenschaftlicher Kritiker der Sächsischen Schweiz – spricht von unten: „Den rechten Fuß dorthin, wo jetzt der linke ist!“ – „Aber da ist schon mein Linker.“ – „Ich kann jederzeit hochkommen!“ Alles, nur das nicht.

Die Zanser Alm liegt unterhalb der spektakulären Geislerspitzen am Ende des Villnöss-Tals. Wanderfreundinnen wissen, dass hier der kleine Reinhold im Alter von fünf Jahren, zusammen mit seinem Bruder, vom Vater auf den Hauptgipfel geführt wurde: den Sass Rigais, 3.025 m. Der kleine Reinhold hat diesen Zehn-Meter- Brocken, der Teil eines Klettergartens ist, wahrscheinlich schon erklommen, bevor er laufen konnte. Erkenntnis an der Wand: Irgendwie geht es weiter. Eine Rinne im porösen Dolomitgestein, eine schmale Ritze, eine Unregelmäßigkeit in den Steinstapeln. Fingerkuppen schwitzen, färben sich dunkelrot. Mal schauen, wo ist eigentlich das Ziel? Der Blick fällt versehentlich nach unten – ungesichert.
Kniescheiben vibrieren.

Der rechte Fuß steht über Hüfthöhe, dieses Bein müsste man langsam mal kräftig strecken, um an den nächsten Griff zu kommen. Der Moment zwischen Durchdrücken und nächster-Griff-noch-nicht-gefunden ist sehr lang. Man tastet vorsichtig nach Halt, aber da ist nur glatter Stein. Blut rauscht in den Ohren. Wo ist der Musculus vastus lateralis, wenn man ihn braucht?

Trenkwalder mag keine Corporate-Selbsterfahrungstrips, schon gar kein mittleres Management. Auch die Sprache des Kapitalismus und mit ihr die gesamte alpine Höher-Weiter-Gipfel-Teambuilding-Metaphorik scheint ihm fremd. Worum es ihm aber schon geht, ist Vertrauen. Es ist leicht, ihm das zu schenken. Seine Klientinnen und Klienten kommen mit Lebensfragen zu ihm, die sich besser in Bewegung erforschen lassen als in einer Praxis. Der Berg selbst trage zur Problemlösung relativ wenig bei, sei nur ein „Resonanzraum“.

Und Trenkwalder ist generell zugeneigt, das kann, wer will, an seiner Körperhaltung ablesen. Ein bisschen vorgebeugt, Schultern und Arme wie allzeit bereit zur schnellen Umarmung von Gestein und Mensch. Manchmal bleiben die Lach- und Sonnenfalten unter dem Schirm des Basecaps mit Sponsoren-Logo verborgen. Denn es ist zum Glück nicht so, dass sein Einfühlungsvermögen Bergführer-Flachwitzen grundsätzlich im Wege steht.

Oben. Geschafft. Sauerstoff bis in die Haarspitzen. Wo kommt nun dieses Lachen her? Ist doch gar nicht so lustig, hier mit bebenden Beinen auf einem Felsen zu hocken – und wieder hinunterzumüssen. „Klären wir später, woher das Lachen kommt“, meint Trenkwalder geduldig und versucht, mich am Seil hinabzulassen. „Ich hab schon eine Idee.“

Erstmal gehen wir den Adolf-Munkel-Weg zur Gschnagenhardt-Alm der Familie Profanter, an diesem außergewöhnlich kühlen Junitag fast allein. Man kann sich als Teil eines 1000-Teile-Puzzles fühlen. Schleierwolken wie aus Zuckerwatte kleben an den Nordwänden der Geislergruppe, zerreißen träge, bilden neue Formationen. In den Schlagschatten der Mittagssonne wirkt der Fels noch härter.

Trenkwalder hebt einen Stein auf und zeigt die Abdrücke einer Muschel – ein Andenken daran, wie die Entstehung der Dolomiten vor 280 Millionen Jahren begann: als tropisches Meer. Aber weil die Berge, wie Goethe fand, stumme Meister sind, die schweigsame Schüler machen, wird auch nicht mehr gequatscht als notwendig. Man könnte natürlich reden, aber man tut es nicht. So geht man leicht weiter, mal hintereinander, mal nebeneinander. Mal allein. Ein Schnaufen, ein Blick, eine Pinkelpause.

Im Vorbeigehen finden wir die Ringelspuren des Dreizehenspechtes in der Fichtenrinde. Die haut er mit dem Schnabel hinein, um den austretenden Baumsaft abzuzapfen. Weiß man das einmal, wird man die Spuren in diesem Märchenwald nicht mehr übersehen.

Als Trenkwalder merkt, dass einem der Rucksack schwer wird, hängt er zusätzlich das meterlange Seil darauf – nur, um es bald darauf wortlos wieder abzunehmen. Plötzlich ist der Rucksack leicht. Druck ist vielleicht nur eine Frage der Einstellung.

Am Grödner Joch ist Lambo-Treffen

Abends dann die Auflösung, woher das Kichern kam. Druckausgleich. Oder halt einfach: Spaß, ausgelöst durch das psychologische Grundbedürfnis Selbstwirksamkeit. Eigentlich ganz schön, dass die Beine von Felskanten mit Hämatomen in allerlei Farbverläufen tätowiert wurden. Was machen wir morgen?

Trenkwalder hat eine App, die verschiedene Wetterprognosen auswertet. Auch sie zeigt viele blaue Flecken: Regenfelder, viele Regenfelder. Der Juni ist in ganz Südtirol zu nass, sodass die Bäuerinnen um ihre Heuernte fürchten. „Wir haben bis zum frühen Nachmittag. Dann gehen wir den Klettersteig auf die Große Cir.“

Die leicht angespannte Google- Suche „Große Cir wie schwer“ ergibt: „Der versicherte Weg auf die Große Cirspitze (Gran Cir) ist sogar für einen Berner Sennenhund machbar und eher ein schwarzer Bergweg als ein Klettersteig. Ausrüstung: Für Ungeübte Klettersteigausrüstung, Kinder evtl. ein Sicherungsseil.“ Das meint bergsteigen. com.

Als wir losgehen, ist am Grödner Joch Lambo-Treffen. Eine Kolonne der bonbonfarbenen Autos jault durchs Tal, dazu dröhnt ein tief fliegender Versorgungshelikopter. Pisten-Infrastruktur steht
nutzlos herum, die Schneekanonen sehen aus wie riesenhafte elektrische Zahnbürsten. „Apokalypse Now“, kommentiert der Filmexperte der Reisegruppe. Vor genau 15 Jahren hat das Unesco-Welterbekomitee die Dolomiten in die Liste des Weltnaturerbes aufgenommen. Dies lockt nun so viele Touristen aus aller Welt an, dass sie der Natur gefährlich werden.

Nach einer halben Stunde Aufstieg weist uns Trenkwalder an, die Helme aufzusetzen und die Klettergurte anzulegen. Wir sind jetzt eine Seilschaft. Entweder Trenkwalder ist sehr vorsichtig oder der Berner Sennenhund des bergsteigen.com-Autors außergewöhnlich gut in Form.

Ab dem ersten Drahtseil sichern wir uns mit je zwei Karabinern. Klettert einer etwas zu schnell eine Felsplatte hoch, spüren die anderen seinen Zug. Rechts geht es steil hinab, überall Geröll. Klong, donnert der Helm vor einen Felsvorsprung. Karabiner auf, Karabiner zu. Es dauert seine Zeit, bis wir einen Rhythmus gefunden haben. Dann funktioniert die Seilschaft. Nicht schlecht für eine Gruppe, die sich am Vortag erst kennengelernt hat. „Was macht man gegen Höhenangst?“, will einer wissen.

Langsam zieht es sich zu, doch bedrohlich ist es nicht, oder?

Trenkwalder macht vor, wie sich Ängstliche am Berg festklammern, buchstäblich einfrieren – und rät, das Gewicht erstmal wieder auf die Füße zu verlagern für einen festen Stand. Später wird er
sagen: „Wer nie Angst hat am Berg, ist psychisch nicht gesund.“

Am Gipfel Rundum-Sicht auf Sellastock, das Puez-Hochplateau und den Langkofel. Wir lernen eine einheimische Friseurmeisterin und ihre Tochter kennen, die sich nach einem frühmorgendlichen Arbeitseinsatz auf dem Klettersteig entspannen. Die Dolomiten stehen als Kulisse im Portfolio vieler international tätiger Hochzeitsplaner, und die Bräute brauchen Sturmfrisuren und tränenfestes Make-up, bevor sie im Helikopter fürs Fotoshooting auf ein Felsplateau geflogen werden. Ein Sehnsuchtsort waren die Bleichen Berge schon immer. Egal, wie man sich ihnen nähert: Den Mutigen setzen sie vieles ins Verhältnis.

Beim Abstieg schaut Pauli auf seine Wetter-App. „Holt die Regenjacken raus“, meint er. Die Reisegruppewechselt Blicke. Es zieht sich zwar zu, doch bedrohlich wirkt es nicht. Trotzdem gehorchen wir. Als das Cape sitzt, kommt ein kurzer Wolkenbruch und lässt das Geröllfeld glitschig zurück. „Irgendwelche Tipps für sicheres Gehen auf vielen beweglichen Steinen?“ – „Einfach gehen.“

Komplexer wird es beim abendlichen Debriefing. Wir sind dem vielfach besprochenen Phänomen auf der Spur, warum man beim Wandern „den Kopf frei bekommt“. Trenkwalder erklärt dies streng wissenschaftlich mit transienter Hypofrontalität. Beim Bergsteigen werde, wie beim Sport allgemein, der motorische Cortex aktiviert, der präfrontale Cortex komme zur Ruhe. Die kognitiven Fähigkeiten sinken unter körperlicher Belastung. Auch die Flow- Theorie legt nahe: Einfälle kommen in Bewegung, wenn man sie nicht erzwingt. Das bedeutet nicht, dass jede Idee, die man auf dem Waldweg hat, gut sein muss.

Am letzten Tag gehen wir von Wolkenstein über die Silvesterscharte zur Stevia-Hütte. In der Scharte sind es zwei Grad, die Stevia- Hütte hat – wie alle Hütten, die wir in diesen drei Tagen ansteuern – noch geschlossen. Knödelsuppen-Enttäuschungsmanagement, auch das lehrt einen was. Doch wir dürfen uns in Tonis Stube bei einem Schnaps aufwärmen und schon ans Schgaguler-Restaurant denken.

Es duftet nach kühlen Steinen und nassem Moos

Auf dem Rückweg bleibt Trenkwalder so abrupt stehen, dass man beinahe in ihn hineinrennt. Auf einem Felsvorsprung tut ein Murmeltier, was ein Murmeltier tun muss. Süß? Nein. Murmeltiere, erfahren wir, lassen ihre Alten zum Sterben vor der Höhle, bevor der Winterschlaf beginnt. Weil es effizienter ist. In der Schlucht unter uns wallt Nebel auf. Es duftet nach kühlen Steinen und nassem Moos.

„Schon schön, oder?“ Trenkwalder erzählt, wie altbacken er früher erfahrene Wanderführer fand, die stehen bleiben und andere auf die Schönheit der Natur hinweisen. Mittlerweile ertappe er sich häufiger dabei, es selbst zu tun. Was das wohl über einen sagt? Das besprechen wir später.

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| Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Pauli Trenkwalder Interview Globetrotter 2021 OuterPeace

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Pauli Trenkwalder Interview Globetrotter 2021 OuterPeace

Was macht Wandern, Bergsteigen, also aktiv in der Natur sein, mit uns?

Viele von uns erinnern sich gerne an jene Tage zurück, wo wir in der Natur unterwegs waren. Beim Bergsteigen, Wandern, Klettern oder vielleicht auf einer Skitour,  wo es uns gelungen ist, die passende Dosis zu finden. Nicht überfordert und nicht unterfordert gewesen zu sein. Und Abends spürten wir die Anstrengungen,  die müden Muskeln und wir erinnern uns an die Zufriedenheit die unseren Körper durchströmte.
Egal ob beherzte Wanderer:in, motivierte Bergsportler:in oder gelegentliche Spaziergänger:in, Bewegung und Natur tut uns gut. Nichts Neues, weil natürlich.

 

Seelisches Wohlbefinden wird heutzutage häufig mit Stärkung der Resilienz in Verbindung gebracht. Stärkt das aktive Draußen sein auch unsere Widerstandskraft?
Psychische Gesundheit ist ein Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und etwas zu ihrer Gemeinschaft beitragen kann.
Auf der einen Seite nehme stressbedingte Erkrankungen dramatisch zu, auf der anderen Seite verfügen Menschen immer weniger über Fähigkeiten und Kompetenzen, um mit Stress umzugehen.

Da man in den Bergen zum Beispiel Ausgleich und realistische Ziele finden kann, stärkt man so auch seine psychische Widerstandsfähigkeit. Dabei sollte man sich von zwei Fragen leiten lassen: „Was tut mir gut?“ und „Für was kann ich mich begeistern?“

 

Als Psychologe ist dir beim Wandercoaching unter anderem unsere Selbstwirksamkeit wichtig. Inwieweit wird sie denn vom in der Natur sein positiv beeinflusst/verbessert?

Selbstwirksamkeit ist eine wichtige Facette psychischer Gesundheit und wird ausschließlich in konkreten Situationen und mit konkreten Menschen gewonnen, d. h. ich bin in der Lage, die mir wichtigen Dinge durch mein Eigenhandeln auch gegen Widerstände zu erreichen. Das „in die Berge gehen“ bietet genau den Rahmen, um das zu erleben.

Berge sind für mich keine Methode und keine Therapeuten sondern Resonanzraum und ein wundervolles Ambiente für meine Arbeit als Psychologe & Bergführer. Berge sind einfach da!

 

Muss man dazu immer auf den Berg bzw. in Richtung Grenzen ausloten gehen?

Nicht jeder muss bergsteigen um glücklich zu werden, das klappt auch ganz gut ohne. Ich bin Bergmensch und gehe mit meinen Klienten in die Berge, weil dies mein Arbeitsplatz ist. Ich lote auch keine Grenzen aus, schon gar nicht am Berg. Gleichzeitig findet Persönlichkeitsentwicklung ausserhalb der Komfortzone statt.

 

Wie und wo findest du deinen (inneren) äußeren Frieden?

Alleine am Berg, umrahmt und eingebettet von viel Natur.

 

#menschundberge
#gersprächeamberg
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| Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Wir sind Meister im Zurückdrängen der Angst

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Wir sind Meister im Zurückdrängen der Angst

Langsam lernen, reflektieren und aufeinander aufpassen: Psychologe und Bergführer Pauli Trenkwalder über Kontrolle und Orientierung am Berg und das Verhältnis von Bergführer und Gast.

Was bewegt Menschen, sich beim Klettern in Gefahr zu bringen?
Das hat etwas mit Selbstverwirklichung zu tun, damit zu zeigen, dass man es kann. Und wir bereiten uns ja darauf vor, weil wir verstehen, dass es gefährlich sein kann. Auch dieses Herantasten, dass man sich das erarbeiten muss, ist ein positiver Faktor.

Wie erlebst du als Bergführer, dass Menschen auf das Risiko in den Bergen reagieren?
Wir sprechen umgangssprachlich von Risiko, aber eigentlich bewegen wir uns in Unsicherheiten. Bergführerinnen und Bergführer lernen, mit dieser Unsicherheit umzugehen und Entscheidungen zu treffen unter Unsicherheit. Und das lernen wir wie alle, indem wir das Schritt für Schritt machen. Ob die Menschen irgendwo Informationen einholen oder sich in Kursen ausbilden lassen: Sie machen den Schritt von der Fremd- zur Eigenentwicklung, wenn man das von den Kompetenzen her sieht. Wenn nun ein Gast von mir irgendwo exponiert steht, da wird er vielleicht schon Angst und Sorge erfahren. Das ist eine normale psychische Reaktion. Erfahrene Bergsteiger und Bergsteigerinnen haben gelernt, diese Angst zurückzudrängen. Sie sind Meister darin.

Das ist aber auch eine Frage der Erfahrung und Routine?
Genau. Wenn wir irgend etwas Neues lernen, tut‘s uns gut, wenn die Dosis klein ist. Dann gewöhnen wir uns dran und lernen das besser kennen. Und die Fähigkeiten, damit umgehen zu können, werden allmählich größer.

Und diese Fähigkeiten sind notwendig, um sich in diesem exponierten Gelände sicher bewegen zu können.
Genau. Menschen haben ein Grundbedürfnis nach Sicherheit, wozu wir auch Kontrolle und Orientierung sagen können. Wenn sie einen Kontrollverlust erleiden, dann ist das unglaublich unangenehmes Gefühl. Im Verhältnis Gast /Bergführer oder Bergführerin gibt der Gast einen Teil ab. Und ich bin dafür zuständig, dass diese Person Kontrolle und Orientierung hat, um sich dann am Berg oder in der Wand bewegen zu können.

Besteht die Gefahr, dass man, wenn man lange klettert, die Gefahr unterschätzt? Weil man sich so daran gewöhnt hat?
Wir zwei am Stammtisch würden sagen: ja. Aber ich kenne die Zahlen dazu nicht. Wobei natürlich Personen, die sehr viel klettern, auch die größere statistische Wahrscheinlichkeit haben, etwas falsch zu machen. Mein Leitsatz ist: Auch wenn ich etwas schon sehr oft gemacht habe – jetzt muss ich mich konzentrieren und noch einmal kontrollieren! Da kommen dann der Selbstcheck und der Partnercheck ins Spiel. Ich schule beides, wobei es mir schon reicht, wenn wir zwei zusammen klettern, dass wir da gegenseitig noch einmal einen Blick drauf werfen. Weil wir ja gemeinsam klettern und weil ich das für dich und mich als Seilschaft machen will. Das gehört einfach dazu, dass man gegenseitig aufeinander aufpasst. Das ist eine Frage der Fürsorge.

Sind wir in der Lage, uns selbst und unsere Fähigkeiten korrekt einzuschätzen?
Sind wir nicht, sonst wäre diese Welt ja nicht so schräg (lacht). Ansonsten hängt diese Selbsteinschätzung auch von der Lebensphase ab. Wenn wir junge Bergsteiger anschauen, dann merken wir, dass wir älter geworden sind und heute sagen: So haben wir das auch mal erlebt, aber so würden wir es heute nicht mehr machen. Ist das jetzt Erfahrung oder einfach mehr Angst? Oder mehr Verantwortung, weil man noch jemand hat im Leben? Selbsteinschätzung lernen wir, indem wir reflektieren. Vom Anfänger zur Könnerin zum Experten, da komme ich nur hin, wenn ich mein Tun reflektiere, für mich selbst, im Gespräch mit Freunden und Kollegen. Das ist ein lebenslanger Prozess, der einen weiter bringt im Finden und Treffen von guten Entscheidungen.

Weisen erfolgreiche Alpinistinnen und Alpinisten bestimmte Persönlichkeitsmerkmale auf, die sie besser geeignet machen als andere?
Da habe ich keine Zahlen dazu und weiß es daher auch nicht. Ich finde es auch generell schwierig, einem Menschen eine Persönlichkeit oder eine psychologische Diagnostik zuschreiben, der gar nicht da ist. Das macht man nicht, da kannst du gleich Kaffeesatz lesen. Aber sehen wir es einmal anders herum: Wird durch das Bergsteigen meine Persönlichkeit auch gebildet? Hat das Klettern uns geprägt, dich und mich? Da würden wir wohl beide ja sagen. Und für mich ist das positiv besetzt. Auf welchem Schwierigkeitslevel das jetzt stattfindet, ist eigentlich ziemlich egal. Manche können das halt einfach besser, haben mehr Erfahrung und bewegen sich in viel größeren Unsicherheiten. Aber sie haben auch die größeren Fähigkeiten und wissen, worauf sie sich eingelassen haben. Die andere sagt: „Große Zinne Normalweg, wunderbar, da habe ich genug zu kämpfen mit mir.“ Das ist ein anderes Level, aber auch für sie bildet sich die Persönlichkeit.

Wie kommt man in der Seilschaft aus einer Situation, in der man sich nicht wohlfühlt, aber der oder die andere will weiter?
Wunderbar ist natürlich, wenn eine Seilschaft oder Gruppe homogen ist. Aber selbst dann ist mal der eine oder die andere stärker oder schwächer. Meistens haben solche Seilschaften oder Gruppen gelernt, damit umzugehen. Du hast ein sehr unzufriedenstellendes Bild gezeichnet, dass einer oder eine nur weitergeht, weil der andere es will. Da würde ich dann nicht mehr mitgehen, weil ich darauf keinen Bock hätte. Ich kann nur eine Empfehlung aussprechen: Das, was du gerne machst – nämlich in die Berge gehen –, ist noch mal schöner, wenn du die richtige Seilpartnerin oder den richtigen Seilpartner hast.

Aber was mache ich, wenn ich mich absolut unwohl fühle und mir in der Tour Zweifel kommen. Die darf ich doch anmelden?
Ja. Erst wenn du sagst, wie es dir gerade geht und was deine Sorgen sind, hat das Gegenüber die Möglichkeit zu verstehen, um was es da geht. Es kann ja sein, dass die Person das ganz anders sieht. Und die Hoffnung zu haben, dass der andere irgendwie spürt, dass dir unwohl ist, dass ist nicht ideal. Was hilfreich ist und was einem persönlich gut tut: Ganz kurze, prägnante Sätze, wie es dir gerade geht. Dann habe ich die Möglichkeit, das nachzuvollziehen, dir zu erklären, dass ich das anders sehe, oder eine Handlung einzuleiten.

Gibt es bestimmte Sicherheitsprinzipien, denen du bei deiner Arbeit folgst?
Zu meiner Arbeit gehört, dass ich immer gut vorbereitet bin, also eine Planung habe. Dann gehört dazu, dass ich gut trainiert bin und mich fit fühle. Und schließlich ist auch die ganze Ausrüstung Teil meiner Sicherheit. Dass ich aktuelle Ausrüstung habe, die auch gut verwenden kann und eigene Erfahrungen habe, was besser und was schlechter funktioniert. Wobei das ja alles immer die Grundlagen sind, um seine Arbeit gut zu machen. Aber letztendlich verkaufen Bergführer ja keine Sicherheit. Meine Dienstleistung ist meine Fähigkeit, mein Können und meine Erfahrung, gewisse Situationen einschätzen zu können und Entscheidungen zu treffen. Das führt dazu, dass sich Menschen sicher fühlen. Ich nehme aber wahr, dass die Menschen vergessen haben, dass man in den Bergen umkommen kann. Selbst in der Kletterhalle, wenn es blöd läuft. Das zu erkennen und zu akzeptieren ist für mich eine innere Haltung, und so kommuniziere ich das auch meinen Gästen. Dass dieser Risikoraum und diese Unsicherheiten zu dem schönen Erlebnis Berg dazugehören und auch dazu beitragen, dass die Berge so schön sind. Und dann erkläre ich, dass wir hier jetzt alles tun werden, damit wir ein gutes und schönes Erlebnis haben.

Erste Hilfe bei Panikattacken am Fels oder Berg

Was tun, wenn ein Mensch beim Klettern oder am Berg von Angstgefühlen überwältigt wird?

Fall 1: Beim Sportklettern bleibt der Vorsteiger zwischen zwei Haken 10, 15 Minuten stehen und bewegt sich gar nicht mehr, ist auch nicht mehr ansprechbar. Irgendwann klettert er plötzlich weiter.
Aus psychologischer Sicht würde man sagen: Der ist in eine Panik gelaufen. Und das sogenannte „Festfrieren“ ist ein Verhalten, das Menschen in einer Panikattacke zeigen können. Das ist ein klinisches Bild, aber sehr selten. Die Wahrnehmung der Person, die da zwischen den Haken steht, ist: „Ich werde sterben.“ Der Mensch erlebt einen kompletten Kontrollverlust. Gleichzeitig ist diese Person aber immer noch eine denkende Person. Was nicht hilft, ist Anfeuern oder rufen „Stell dich nicht so an!“ Was man wissen muss: Der Mensch in der Panik denkt, das geht immer so weiter und wird immer schlimmer. Aber letztlich flacht die Panik ab und ist irgendwann vorbei. Solange keine Gefahr im Verzug ist, heißt es also abwarten, bis der Peak vorbei ist und die Person langsam wieder Kontrolle erreicht.

Fall 2: Jemand weigert sich, einen exponierten Weg, wo theoretisch durchaus auch Absturzgefahr bestehen kann, zu gehen und rührt sich, an die Wand gelehnt, nicht mehr vom Fleck.
Man weiß zumindest, dass eine Person in einer solchen Situation keine Übersprungshandlung macht. Das wäre, wenn die Person sagt: „Ich halt‘s nicht mehr aus“ und nach unten springt. Das ist nicht bekannt. Die wird eher festfrieren. Was viele Menschen in ihrer Unsicherheit an solchen Stellen tun, ist sich gegen den Hang zu lehnen anstatt aufrecht zu stehen oder zu gehen. Damit verschiebt sich der Körperschwerpunkt nach innen und die Schuhe rutschen eher noch, was das Unsicherheitsgefühl verstärkt. Was du machen kannst, ist: den Peak der Panik abwarten; durch Anseilen die Absturzgefahr ausschalten; jeden Schritt und jeden Griff ansagen und anzeigen. Denn was macht die Person, wenn sie nickt oder meinem Finger folgt? Sie hat – und wenn es nur ein kleines bisschen ist – wieder Kontrolle erlangt.

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| Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Und ob ich das kann!

By Interview
Interview erschienen in …

Und ob ich das kann!

Jetzt kenne ich meine Grenzen. Und Respektiere Sie.

Nina Banneyer, 53, konfrontierte sich am Berg mit ihrer Höhenangst

Auf einem winzigen Vorsprung stehen meine Füße, mein Körper an den nackten Felsen gepresst. Runterschauen? Auf keinen Fall. Mein Atem rast, mein Herz auch. Was, wenn ich eine falsche Bewegung mache? Ich sehe mich schon unten liegen. Von oben höre ich ungeduldig: „Los, weiter – ist nicht mehr weit!“ Sagt sich so leicht. Ich bin wie gelähmt vor Panik. Wie komme ich hier nur raus? Vielleicht mit dem Rettungshubschrauber?

Die erste Attacke von Höhenangst packte mich vor etwa 4 Jahren auf einer anstrengenden Bergtour, die über einen Klettersteig führte. Ich war selbst überrascht. Und erschrocken, als die Angst danach immer häufiger zuschlug. Als mich schließlich sogar auf einem Balkon im fünften Stock Panikgefühle überkommen, beschließe ich, aktiv zu werden. Über den Tipp einer Ex-Kollegin finde ich zu Pauli Trenkwalder. Erfahrener Bergführer, diplomierter Psychologe und Coach. Er begleitet Leute wie mich, die unter Höhenangst leiden. In einem Telefonat versuchen wir herauszufinden, ob es für uns beide passt, wie Pauli sagt. Pauli ist sympathisch, vertrauensweckend, und er hört genau zu. Ich erzähle ihm alles: von meiner Höhenangst seit der Panikattacke auf dem Berg, wie schlimm es für mich war, zu erleben, dass mein Körper nicht mehr das tat hat, was ich wollte. Und dass mich inzwischen Angst überfällt, wenn ich nur auf einem hohen Balkon stehe. Pauli bittet mich, zu erzählen, wie es zu dem Ereignis gekommen sei. Zu dem „Ausgesetztsein“, wie er es in seinem angenehmen Südtiroler Dialekt nennt. Ich erzähle, dass ich mich bei der Planung einer vermeintlich mittelschweren Wanderung komplett auf meinen Begleiter verlassen habe. Und wie unwohl ich mich fühlte, als wir den Weg verloren und auf einer rutschigen, steil abfallenden Bergflanke landeten. Meine Knie zitterten, als wir uns schließlich vor einem Klettersteig wiederfanden, wo Stahlseile und Haken in den Berg gehauen waren. Ich verdrängte mein ungutes Gefühl, bis ich schließlich bewegungslos am Felsen hing. Mein Begleiter reagierte verständnislos. „Angst gibt es nicht“, rief er mir stattdessen zu.

Pauli sieht das anders. „Angst in der Höhe ist eine natürliche Reaktion des Körpers, die Sinn hat“, sagt er. „Sie ist schützend.“ Und die Angst auf dem Balkon? „Die macht nicht so viel Sinn. Das können wir uns anschauen.“ Zwei Monate später treffen wir uns in Sterzing in Südtirol. Hier soll ich meine Höhenangst hinter mir lassen. Und zwar am Berg. „Was ist dein Ziel?“, fragt Pauli mich, als wir uns am Abend zuvor zum Vorgespräch treffen. „Ich möchte einen Klettersteig gehen können“, antworte ich wild entschlossen. Pauli stutzt. Warum gleich einen Klettersteig? Weil ich zum Ursprung meiner Angst zurückgehen möchte. Ich möchte genau die Bewegungsunfähigkeit überwinden, die mich damals lähmte. Und gleichzeitig merke ich, wie nervös mich mein im Wortsinn hochgestecktes Ziel macht. Ich habe echt Bammel.

Am nächsten Tag fahren wir in ein abgeschiedenes Bergtal. Respekt einflößende graue Steinberge erheben sich über mir, manche von ihnen sind mit Schnee bedeckt. Meine Idee, einen Klettersteig gehen zu wollen, kommt mir jetzt reichlich übertrieben vor. Noch dazu sehe ich etwas skeptisch, wie Pauli Helme, lange Seile und Klettergurte und Karabinerhaken einpackt. Was hat er vor? Ich stapfe hinter ihm die Blumenwiese hoch. Als Pauli anhält, stehen wir an einer Stelle, wo es sanft den Berg hinunter geht. Ein kleiner Abhang mit Gebüsch und Gehölz. Pauli fragt: „Wie geht es dir? Ist das aushaltbar für dich?“ Was? – denke ich, dieser kleine Abhang soll mir Angst einflößen? „Nein, alles gut.“ Manche hätten hier schon Höhenangst, erzählt er mir. Für mich unvorstellbar, denn hier hole ich mir allenfalls ein paar blaue Flecken, wenn ich stolpere und hinunterfalle. „Siehst du“, sagt er. „Du kannst es dir rational erklären.“ Wir marschieren weiter, der Weg wird schmaler und abschüssiger. Geröll und Kiesel am Wegesrand, kein abpolsterndes Gebüsch mehr. Herunterfallen möchte ich hier nicht. „Und?“, fragt Pauli, „wie ist es hier?“ „In Ordnung“, sage ich. Ich habe keine Angst. Nächster Stopp. Ein grasiges Plateau, unter uns die letzten Bäume. Ich sage: „Solange ich Bäume sehe, geht es mir gut, da habe ich keine Angst.“ Pauli erwidert. „Da weiß jemand, wie weit er gehen kann“. Meine persönliche Grenze ist also gesetzt.

Dann stehen wir vor dem Klettersteig. In den Berg gehauene Stahlseile führen steil hinauf. „Fühlst du dich bereit?“, fragt Pauli. Ich nicke. Ich bekomme einen Klettergurt, der um die Hüfte und um die Beine geschlungen ist. Daran wird das Klettersteigset befestigt, an dem zwei Karabiner an Zugseilen hängen. Ich kann mich also selbst sichern an dem Stahlseil, das in dem Berg eingelassen ist. Zusätzlich dazu sichert mich Pauli mit Seilen. Er sagt: „Ich vertraue dir, dass du das schaffst, und Du vertraust mir, dass ich dich halte.“ Es kann mir also nichts passieren. Dieses Vertrauen, das merke ich jetzt, ist das Allentscheidende. Ich fühle mich sicher. Aufgeregt, aber ohne Angst. Pauli erklärt mir, wie hoch dieser Klettersteig geht und welchen Verlauf er hat. Auch das ist wichtig. Ungewissheit verunsichert und verängstigt. In etwa zu wissen, was auf einen zukommt, hat etwas Beruhigendes. Dann geht es los. Ich konzentriere mich auf die Tritte, halte mich am Seil oder an Steingriffen fest. Und stelle erstaunt fest: Es macht Spaß, großen Spaß sogar! Ruck Zuck bin ich oben.

Ich bin stolz, es bis hier hingeschafft zu haben. Aber auch irritiert. Habe ich doch gar keine Höhenangst? War das nur Einbildung? Wenn es jetzt so einfach für mich ist, was ist dann bei dieser Panikattacke am Berg passiert? „Du hättest den Klettersteig damals wahrscheinlich sogar geschafft, wenn du nicht schon vorher am Steilstück Angst bekommen hättest“, sagt Pauli. „So war deine psychische Kraft schon aufgebraucht. Jeder hat davon nur ein bestimmtes Kontingent davon. Wenn das verbraucht ist, kommt die Angst.“ Niemand sei vor Höhenangst gefeit, beruhigt er mich. Er habe schon Profi – Kletterer gesehen, die plötzlich in der Wand festhingen, weil auch sie ihre psychische Reserve aufgebraucht hatten. Deswegen sei es so wichtig, Bergtouren an den eigenen Grenzen auszurichten und gut zu planen.

Ich verstehe. Und will am liebsten gleich weiter hochsteigen, so euphorisch hat mich der Triumph über meine Angst gemacht. „Ich glaube, es ist genug“, sagt Pauli. „Höhenangst besiegt man, wenn man in kleinen Dosen positive Erlebnisse sammelt.“ Wir haben die genau richtige Dosis erreicht. Auf der Tour habe ich nicht nur gelernt, mich im Gelände so zu bewegen, dass ich mich im Gebirge sicher fühle. Vor allem habe ich gelernt, Grenzen zu erkennen und zu achten. Meine Kraft richtig einzuschätzen, in mich reinzuhorchen. Das gilt nicht nur für die Berge, sondern hilft mir auch im Alltag.

Meine Tipps gegen die Höhenangst

  1. Naturbeobachtungen beruhigen und lenken ab. Öfter mal den Blick in die Weite schweifen lassen und schauen, was man so sieht. Dabei tief ein und ausatmen.
  2. Achtung: Sich an eine vermeintlich sichere Felswand zu lehnen, versteht der Körper als Alarmsignal, weil sich der Schwerpunkt verlagert. Lieber auf beide Füße stellen und zur Mitte ausrichten.
  3. Lippenbremse: Die Lippen zusammenpressen und fest ausatmen. Bringt den Sauerstoff-Haushalt wieder ins Gleichgewicht und schwächt so die Angst- oder Panikattacken ab.

Spaziergang mit Hund – das trau ich mich jetzt

Johanna Mohr, 29, hat sich ihrer Hundeangst gestellt – und die Vierbeiner anders kennengelernt.

Es war mein erster Job, ich war 14 und unglaublich stolz: Jeden Samstag trug ich Supermarkt Werbung aus und verdiente so mein erstes eigenes Geld. An einem Morgen betrat ich ein Grundstück, das ich schon einige Male beliefert hatte. Plötzlich preschte ein Labrador- Retriever bellend auf mich zu und sprang an mir hoch. Ehe ich mich versah, biss er in die Prospekte in meiner Hand und zerfetzte sie knurrend. Zum Glück griff der Besitzer ein. Ich war trotzdem völlig verstört. Und gehe seither mit großer Angst vor Hunden durchs Leben.

Ich fürchte mich vor allem vor größeren Hunden. Was blöd ist, denn die Vierbeiner sind überall. In der Stadt, im Park, bei Freunden und immer öfter auch im Büro. Allein joggen im Feld? Für mich unmöglich. Auf dem Gehweg wechsle ich die Seite, wenn mir ein Mensch mit Hund entgegenkommt. Wie oft habe ich mich schon hinter Bäumen, Müllcontainern oder Autos versteckt, weil irgendwo ein frei laufender Hund herumscharwenzelte? Dass meine Hundeangst nur von sehr wenigen Menschen ernst genommen wird, macht es nicht leichter. Aussagen wie „Der tut doch nichts“, helfen einem nicht. Dabei mag ich Hunde sogar. Trotzdem hielt ich sie die letzten 15 Jahre lieber auf Distanz.

Als ich dieses Jahr in eine neue Wohnung ziehe – mit einer Mitbewohnerin, die ihren Windhund ab und zu da hat – beschließe ich: Es muss sich was ändern. Auf meiner Suche nach einem Training stoße ich auf wecoachyou. Das Team aus fünf Mensch-Hund-Coachinnen, mit Standorten in Offenburg, Frankfurt, München, Polling und Dresden, verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der die individuellen Persönlichkeitsmerkmale von Mensch und Hund berücksichtigt (wecoachyou.de). Von den Coachinnen ist eine Veterinärmedizinerin und drei andere sind staatlich geprüfte Hundetrainerinnen.

Beim Kennenlerntermin mit Petra Metz und Angelika Peter sprechen wir über den Auslöser meiner Angst – und ganz viel anderes: über meine Eltern, ehemalige Lehrkräfte, meinen Partner und Freunde, über Introversion und Unsicherheiten. Ich lerne, dass es okay ist, Angst zu haben, und ich mich dafür nicht schämen muss. Und noch viel wichtiger: ich darf erwarten, dass man meine Angst respektiert. Zum Abschluss geben mir die beiden konkrete Tipps zur Bewältigung von Angstattacken. Mein Körper reagiert meist mit Schwitzen und schnellem Atem, ich verkrampfe und kämpfe mit den Tränen. Was da hilft? „Schreien zum Beispiel“, sagt Petra. „Manche singen auch, hüpfen auf und ab oder schütteln sich. Egal wie, du musst die Anspannung im wahrsten Sinne abschütteln, damit du nicht noch mehr verkrampfst“, erklärt sie.

Gelegenheit dazu bietet sich zwei Wochen später beim Seminar „Dein Hund & Du“. Petra und Angelika wollen uns anleiten, das Wesen eines Hundes besser zu erkennen und zu verstehen. Wir schauen uns verschiedene Hunderassen an. Ich lerne, dass auch Hunde intro- oder extravertiert sind und jeder Hund eine Rolle hat: Entscheidungsträger, Leithund oder Mitarbeiter. Dann üben wir mit echten Tieren. Als ein Hund eine schnell laufende Teilnehmerin bellend verfolgt, erschrecke ich. Bellen triggert meine große Angst, gebissen zu werden. Wie empfohlen reagiere ich mit kräftigem Schütteln und einem lauten „woah“. Und tatsächlich: Ich bin weniger angespannt. „Ein Hund, der bellt, hat was zu sagen“, erklärt mir Petra. Und dass es sehr lange dauert, bis ein Hund wirklich beißt. „Nur wenn er sich bedrängt fühlt.“ Gehe ich also an einem Hund vorbei, der mich anbellt, kann ich sagen: „Ich möchte nur hier lang gehen. Ich tue dir nichts, du tust mir nichts.“ Hunde, so Angelika, spüren die Energie eines Menschen. Je vertrauensvoller ich zu mir selbst bin, desto besser können auch Hunde mich einschätzen.

Zum Abschluss nehmen mich Teilnehmer Martin und seine Hündin Kira mit auf einen Spaziergang. Wir laufen durchs Feld, Kira streift an meinen Beinen vorbei. Ich bin innerlich bei mir und weiß, dass sie nur schnuppert. Dass keine Gefahr von ihr ausgeht, das spürt auch sie. Als uns ein körperlich deutlich überlegener Rüde entgegenkommt, drehen wir auf meinen Wunsch dann aber doch um. „Du kannst nicht von heute auf morgen den Schalter umlegen. Das ist ein langer Prozess, der einfach Zeit braucht“, ermutigen mich die Coachinnen. Immerhin: Ein Anfang ist gemacht.

Meine Tipps gegen Angst vor Hunden

  1. Bewältigungsstrategien wie Singen oder sich schütteln helfen während der Angstattacke, überschüssige Energie loszuwerden.
  2. Kleine oder besonders sanftmütige Hunde sind ein guter Anfang, um sich den Vierbeinern anzunähern.
  3. Ihre Freundin hat einen Hund? Begleiten Sie sie auf die Hundewiese und beobachten Sie die Tiere und ihr Verhalten aus sicherem Abstand.

Ich fahre wieder. Und werde jeden Tag sicherer

Anna-Helene Leitz, 44, hat sich nach über 20 Jahren wieder ans Steuer getraut – dank Fahrstunden bei einer spezialisierten Lehrerin.

Die Ampel springt auf Grün. Ich gebe Gas. Rechts abbiegen. Nach 350 Metern halte ich am Straßenrand, blinke, parke rückwärts ein. Geschafft. Mit einem stolzen Lächeln ziehe ich den Schlüssel ab. Ich habe gerade meinen Sohn von seinem Freund abgeholt – mit dem Auto.

Klingt total selbstverständlich für Sie? Für mich war es das lange nicht. Dabei habe ich meinen Führerschein seit fast 25 Jahren. Gefahren bin ich davon allerdings nur knapp drei. Mit Anfang 20 geriet ich mit einem Kleinbus auf der Autobahn ins Schleudern. Ich hatte Todesangst und obwohl zum Glück nichts passierte – mein damaliger Freund griff ins Lenkrad und half mir, das Auto auf dem Standstreifen zum Stehen zu bringen – habe ich mich ab diesem Moment nicht mehr hinters Steuer getraut. Aus Angst, wieder die Kontrolle über ein Fahrzeug zu verlieren und dadurch mich und andere in Gefahr zu bringen.

Vermeidungsverhalten nennen das Verkehrspsychologen wie Birgit Scheucher von der Verkehrspsychologischen Praxis München. Das Problem: „Das Vermeiden schützt zwar vor angstauslösenden Situationen, verhindert aber langfristig, dass das Gehirn neue, positive Erfahrungen mit dem Autofahren verknüpft. So bleibt die Angst bestehen und ist beim nächsten Fahrversuch möglicherweise noch größer.“ Diese Erfahrung musste auch ich machen: Einmal fuhr ich mit meinem Mann um den Block, ein anderes Mal nahm ich eine Auffrischungsstunde in einer örtlichen Fahrschule. Beide Male war ich danach noch unsicherer als vorher. Gleichzeitig ärgerte ich mich immer mehr darüber, so unselbstständig zu sein. Ständig musste ich andere bitten, mich mitzunehmen, meine Kinder zum Turnen, zum Reiten, zum Oboenunterricht zu fahren.

Vor gut einem Jahr beschließe ich also, es noch einmal zu versuchen – diesmal mit einer Expertin und in meinem eigenen Tempo. Ich melde mich bei Nina Kandlbinder von der Münchner Fahrschule „Pro-Frau“ (frauen-fahrschule.com). Die 44-Jährige hat sich auf Frauen mit Fahrangst spezialisiert, zu ihr kommen Schülerinnen jeden Alters, von Mitte 20 bis über 60. „Sie sind längst nicht die Einzige“, beruhigt sie mich im Vorgespräch. Trotzdem bin ich vor der ersten Stunde unglaublich nervös: Was, wenn ich wirklich nicht mehr fahren kann? Wenn ich das Gaspedal nicht mehr finde? Oder das Auto beim Ausparken an die Wand setze? Aber meine Sorgen sind unbegründet. Nina Kandlbinder nimmt sich die Zeit, mir alles noch mal von Grund auf zu zeigen: Spiegel einstellen, Blinker setzen, rückwärtsfahren. „Der erste Schritt ist es, mit dem Auto vertraut zu werden, das ist die Basis, auf der alles aufbaut.“ Die ersten beiden Stunden üben wir nur auf dem Parkplatz. Im Schritttempo fahre ich von Lücke zu Lücke, immer darauf bedacht, das Lenkrad gerade zu halten. Danach geht es durchs Wohngebiet. Ich wiederhole, worauf es beim Linksabbiegen ankommt, „großer Bogen, auf Gegenverkehr und Radfahrer achten!“, und wie man beim Rückwärtseinparken korrigiert.

Von Stunde zu Stunde achte ich weniger auf mich und fokussiere mehr auf den Verkehr um mich herum. Das gibt mir die nötige Sicherheit, um mich in die belebte Innenstadt und schließlich auch auf die Autobahn zu trauen. „Konzentrieren Sie sich auf den Abstand zum Vordermann und lassen Sie sich nicht drängeln“, rät mir Nina Kandlbinder mit ruhiger Stimme. Nie wird sie laut, nie ungeduldig – im Gegenteil, wir lachen unheimlich viel miteinander. Nach jeder Stunde besprechen wir die kritischen Situationen, aber auch, was richtig gut gelaufen ist. Ich bekomme Hausaufgaben, zum Beispiel sonntags zum Supermarkt zu fahren, um das Einparken zu üben. So kann ich auch die Zeit zwischen den Stunden nutzen. Dazu gibt es ein Begleitbuch für die Theorie. Aus den geplanten zehn Fahrstunden werden schließlich 14. Die erste habe ich im September gemacht, die letzte im Mai. Ich habe mir Zeit gelassen, viel geübt. Und auch ein paar Dellen in unser Auto gefahren (die Einfahrt ist wirklich sehr schmal). Aber jetzt fahre ich wieder. Und ich werde jeden Tag sicherer.

Meine Tipps gegen Fahrangst

  1. Nicht drängeln lassen. Brenzlige Situationen entstehen meist durch Hektik.
  2. Nicht fahren, wenn man wütend oder traurig ist. Miese Laune überträgt sich sofort auf den Fahrstil. Besser: zur Ruhe kommen oder doch das Rad nehmen.
  3. Üben, üben, üben. Am besten am Sonntagmorgen, da ist wenig Verkehr.
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