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Interview21

| Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Bildet Klettern die Persönlichkeit?

By Interview
Interview erschienen in

Persönlichkeitsbildung und Klettern – oder die Rolle der Psyche beim Klettern.

Autoren:
Pauli Trenkwalder
Psychologe & Bergführer
Martin Schwiersch
Psychologe; Psychotherapeut & Bergführer

Sind wir mal ehrlich, wenn wir unseren kletternden Freunden zuschauen, da gibt es eine Vielzahl von Unterschieden, wie sie sich an einem Stück Fels versuchen. Der eine bewegt sich sehr kontrolliert, präzise, chamäleonähnlich langsam eine mehr oder weniger steile Wand nach oben und natürlich wurde vorher noch das Leibchen akkurat, ordentlich gefaltet und bedacht auf dem Stein neben den Rucksack gelegt. Wieder ein anderer kletternder Mensch hat ein unüberschaubares Chaos im Haulbag, am Standplatz und am Gurt sowieso, wo willkürlich unsortiert Friends, Expressschlingen und sonstiges Zeugs durch die Gegend baumelt. Da kann es doch auch so sein, dass das Klettern und wie es praktiziert wird Ausdruck der Persönlichkeit ist. Freilich alles kein Problem, denn jedem seine Neurose!

Trotzdem wollen wir mal hinschauen, ob es Persönlichkeitsfaktoren gibt, die wir mit Zahlen belegen können. 2004 waren wir Mitverfasser einer Studie der Sicherheitsforschung des DAV, bei der 278 Kletterinnen und Kletterer in der Halle beobachtet und befragt wurden. Unter anderem verwendeten wir einen psychometrischen Fragebogen, das Hamburger Persönlichkeitsinventar HPI. Damit kann man bei Menschen folgendes messen:

– emotionale Labilität bzw. Neurotizismus
– Extraversion bzw. Introversion
– Offenheit für neue Erfahrungen
– Kontrolliertheit, Normgebundenheit
– Altruismus
– Risikobereitschaft

Ziel war es zu prüfen, ob die Teilnehmer sich in ihren Persönlichkeitsmerkmalen und dabei vor allem in dem der Risikobereitschaft von der Allgemeinbevölkerung unterscheiden. Die Antwort lautet: „A bisserl, ober nit wirklich“; sprich: ja zum Teil, aber nicht in relevanten Ausmaß. Kletterer sind weniger emotional labil, weniger erfahrungsoffen, weniger kontrolliert und normgebunden, sowie risikobereiter als die Normalbevölkerung – die Gemeinsamkeiten überwiegen die Unterschiede! Kletterer sind weder „gesünder“ noch die „besseren“ Menschen, sondern Menschen wie Du und ich!

Solche ähnlichen Untersuchungen gibt es beim Bergsteigen mehrfach. Unabhängig von den Ergebnissen haben sie sicherlich eines gemeinsam: Als Einpunktstudien können sie keine kausalen Einflüsse prüfen, ob Klettern oder Bergsteigen einen Zusammenhang mit persönlichkeitsbildenden Faktoren hat. Dieses methodische Problem soll uns nicht beunruhigen, da wir ja eh glauben, zu wissen, dass Klettern einen Einfluss auf unsere Person und Psyche hat. Wenn ein Mensch von einer Sache begeistert ist, dann kann er gar nicht umhin, davon auszugehen, dass diese Sache eine „Gute“ ist. Ein leidenschaftlicher Kletterer wird dem zustimmen, alleine schon deshalb, da er ja einen Teil seines Lebens dem Klettern widmet und es damit einen Teil seiner Identität ausmacht!

Das Klettern hat mein Leben bereichert wie keine andere Erfahrung. Klettern und Alpinismus sind eine wunderbare Schule für’s Leben, ein Weg mit Herz und Seele. (Heinz Mariacher; www.heinzmariacher.com )

 

Klettern stiftet Identität.

Ein junger Mensch hat noch keine klare Vorstellung davon, wer er ist, was er kann und was er will. Und damit befindet er sich in einer grundlegenden Unsicherheit und Instabilität. Wenn ein Mensch von sich sagen kann: „Ich bin ein guter Kletterer, ich bin schon 7a geklettert, in Arco kenne ich mich ganz gut aus. Weiß, dass es das beste Eis beim Marco gibt und eigenständig in der Seilschaft gehen kann ich auch“ – dann hat er zumindest zu einer minimalen Sicherheit gefunden: Identität gibt Halt. Alle Eigentätigkeiten, die Kompetenzerwerb beinhalten, über einen längeren Zeitraum ausgeübt werden und in einem sozialen Kontext ausgeübt werden, stiften Identität. Der Beziehungskontext ist wichtig, denn der Kletterer / die Kletterin muss sich zeigen und jemand muss ihn oder sie als Kletterer/in wahrnehmen und wertschätzen. Anerkennung auf der einen und Stolz auf der anderen Seite stiften Identität.

Auch Ron Kauk war einmal ein junger Mensch, der auf seiner „Suche“ im Yosemite landete und die Wirkung des Kletterns auf ihn selbst so beschreibt:

„I came here as a sophomore in high school and never went back home. This place, Yosemite, was my education. If You let it, it can imprint a value system on You. Passing a bottle of water to Your partner a thousand feet off the ground, You make sure he‘s got a good grip on it.”(National Geographic, Mai 2011, S. 115-116).

Wir lernen also beim Klettern – neben anderem – für andere Sorge zu tragen, eine Personfähigkeit, die man eindeutig als positiv einstufen wird.

 

Charakterbildung – Persönlichkeitsbildung.

Wenn man in die Runde fragt, wodurch Klettern zur Persönlichkeitsbildung beitragen könne, erhält man in der Regel Antworten wie: Man muss beim Klettern lernen, Risiken zu managen, man hat Verantwortung für sich und andere, muss seine Ängste überwinden, Leistung bringen, sich mit den eigenen Grenzen auseinandersetzen.

Auch Michael de Rachewiltz, ein junger Philosoph, der selbst kleine Griffe halten kann, glaubt, das beim Klettern Charaktereigenschaften gebildet werden (wie er bei einer Wanderung erzählt).

„Ob diese dann in der jeweiligen Gesellschaft gerade gefragt sind, bzw. als „gute“ oder „schlechte“ Charaktereigenschaften oder als universale Charaktereigenschaften gesehen werden, ist eine andere Frage.“

Unabhängig von der Frage, inwieweit Charakter überhaupt gebildet werden kann, betonen die Philosophen (Climbing – Philosophy for everyone; Stephen E. Schmid et al.), dass, wenn er gebildet werden kann, dann nur durch Praxis und „Gewöhnung“: Man wird nicht mutig, indem man über Mut in Büchern lernt, sondern indem man „mutige“ Taten vollbringt und damit „Mutig sein können“ ein Teil von einem selbst wird. Dies betont auch die Wagnisforschung, denn Sicherheitsstandards werden nur durch das Eingehen von Wagnissen entwickelt (Cube, F. 1995). Es geht um die richtige Mitte, die Balance zwischen den Extremen: ein 5a Kletterer der sich free solo an eine 8a wagt, ist nicht mutig sondern handelt töricht. Umgekehrt ist ein 8a Kletterer nicht mutig, weil er eine 5a free solo begeht – während dies für den geübten 5a Kletterer sehr wohl der Fall wäre. Die Autoren von Climbing – Philosophy for everyone gehen sogar so weit, zu fordern: „Charakterbildung gehört sicherlich zu den Gründen, warum Menschen klettern SOLLTEN“.

„Die Auseinandersetzung mit der Wand ist im Grunde genommen eine Auseinandersetzung mit sich selbst, mit den eigenen Grenzen, Zweifeln und Ängsten auf der einen Seite, und mit den eigenen Tugenden, wie Mut, Entschlossenheit und unbeugsamer Absicht auf der anderen. Sieger über die eigenen Schwächen zu sein ist das Erstrebenswerteste, das man sich vorstellen kann.“ (Heinz Mariacher; www.heinzmariacher.com)

Natürlich ist Persönlichkeitsbildung nun so ein Schlagwort! Das aus unserer Sicht bessere Konzept wäre „Selbstwirksamkeitsförderung“. Denn die Persönlichkeit im Sinne des Charakters wird durch das Klettern nicht wirklich geprägt, vielmehr prägt der Charakter umgekehrt das, was jemand aus dem Klettern herauszieht und wie er es praktiziert. Und über die Jahre interagieren dann Klettererfahrung und allgemeine Erfahrungen so, dass dann ein Lebenskletterer wie z. B. der oben zitierte Heinz Mariacher rauskommt. Aber der wäre, wäre er nicht in Innsbruck, sondern in Hawaii aufgewachsen, wahrscheinlich Surfer geworden und würde heute die Identitätsbildung durch Surfen beschreiben, statt Klettern.

Die Überzeugung: „Ich bin in der Lage, mir wichtige Dinge durch mein Eigenhandeln auch gegen Widerstände zu erreichen“ wird Selbstwirksamkeitsüberzeugung genannt. Ein Mensch muss die Erfahrung machen, dass eigene Handlungen zu gewünschten Ergebnissen führen. Selbstwirksamkeit wird ausschließlich in konkreten Situationen und mit konkreten Menschen gewonnen. Sie gilt als wichtige Facette psychischer Gesundheit.

Diese Selbstwirksamkeit erleben Kletterer (Innen), wenn sie in die Berge, an den Fels und in die Wildnis ziehen, um dort ihrer Leidenschaft nach zu gehen. Das Kreieren künstlicher Herausforderungen, wie eine Dolomitenwand frei zu klettern, ist nur deshalb möglich, weil man sich in bestimmten Gruppen auf bestimmte Regeln geeinigt hat und unterschiedliche Kletterspiele erfordern unterschiedliche Charaktereigenschaften. Doug Robinson nennt das Phänomen, dass wir versuchen Ziele schwieriger zu machen, indem wir Technologie reduzieren „technologische Inversion“. Laut ihm sind Mut, Bescheidenheit und Ehrfurcht vor der Natur die hauptsächlichen Charaktereigenschaften die Klettern bildet bzw. stärkt.

 

Verkörperung – Embodiment

Eine typische Erfahrung beim Klettern ist das Festhalten als Voraussetzung für das Hochkommen. Für‘s Weiterkommen muss man loslassen; und zwar den Griff den man hält! Dabei wird die Gefahr des Absturzes als ständiger Zug der Schwerkraft erlebt.

 Die meisten von uns haben sich schon mal, kurz vor dem Einstieg einer Route, die Griffabfolge der Schlüsselstelle, vielleicht auch der ganzen Tour vorgestellt. Arme, Hände und Finger so bewegt und gleichzeitig mental vorgestellt, die Bewegungen korrekt auszuführen. Einerseits ist dies ein innerer Fahrplan, um Bewegungsabläufe durchzuführen, andererseits kann man einen Einfluss des Körpers bzw. von Bewegungen auf die Wahrnehmungen annehmen. So konnten Repp und Knoblich (2007) zeigen, dass die Wahrnehmung von mehrdeutigen Tonfolgen besser gelingt, wenn der Zuhörer seine Finger bewegt; d. h. er simuliert Tasten zu drücken, die eine auf- bzw. absteigende Tonfolge ergeben würde. Beim Klettern sind es keine Tasten, sondern Griffe und Tritte, die wir mit unterschiedlichem Druck und aus unterschiedlichen Winkeln belasten.

Eine Reihe von Studien konnte zeigen, dass die Wahrnehmung stark durch die eigene physiologischen Voraussetzungen beeinflusst wird. So wird z. B. das Gefälle eines Berges steiler eingeschätzt, wenn Versuchspersonen einen schweren Rucksack tragen, als wenn sie keine zusätzliche Last am Rücken mitführen (Proffitt, 2006). Auch die Wahrnehmung der Höhe einer Stufe („Wie hoch muss ich steigen?“) oder der Breite eine Tür („Passe ich durch die Tür?“) hängt von der Wahrnehmung des eigenen Körpers und damit den eigenen physiologischen Voraussetzungen ab (Warren, 1984; Warren & Whang, 1987).

Die Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche beschreibt die Klinische Psychologie mit dem Begriff Embodiment. Einerseits drücken sich psychische Zustände im Körper aus, andererseits können Körperzustände psychische Zustände beeinflussen; d. h. eine bestimmte Körperhaltung wirkt sich auf Kognition und Emotion aus. Wer kennt nicht die Rechtfertigungen, Ausreden und

Erklärungen, wieso man die Tour oder Kletterstelle heute wieder mal nicht geschafft hat! Dann

stand man unten am Einstieg, wahrscheinlich war man eingeknickt; die Schulter und Kopf nach unten hängend usw. Dieses, wohl allen bekannte Erlebnis beschreibt Charly Brown am reflektiertesten:

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| Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Der Weg zu mir selbst

By Interview
Interview erschienen in …

Die Wege, die man geht, prägen auch das Gespräch

Als hätte sie jemand für uns ausgerollt, liegt die Wiese vor uns. Zwischen langen Halmen leuchten einzelne Blüten in Rot, Blau und Weiß. Ich muss mich setzen. Der Anblick tröstet, die Gräser im Wind klingen wie die Worte meiner Großmutter: Kind, so schlimm wird es schon nicht sein. Die Sonne bricht durch den Nebel, und wenige Meter weiter unten stehen die ersten krummen Lärchen, wir haben die Baumgrenze fast erreicht. Jetzt wird alles einfacher, denke ich, und dass ich nicht mehr frieren muss. „Eine versöhnliche Wiese“, sage ich, und Pauli Trenkwalder, mein Bergführer, lacht. Er steht, lässt mich sitzen. Auf geht’s, hätte er vielleicht gerufen, ginge er mit der Zielstrebigkeit eines Bergführers vor, aber Pauli Trenkwalder, den ich Pauli nenne, weil man sich am Berg duzt, ist auch Psychologe und Coach. Er weiß, der Wiesenmoment ist wichtig, weil er mich zuversichtlich stimmt. Wir sind seit drei Stunden unterwegs, haben fröhliche und schwere Momente überstanden, Wolken durchquert und Murmeltiere beobachtet. Wir haben geredet und geschwiegen, während wir auf dem Grat der Weißspitze gewandert sind, ein Berg wie ein Kalkdreieck mit einem Kreuz auf 2714 Metern. Erreicht haben wir es nicht. Ich bin nicht nach Südtirol gereist, um Gipfel zu erstürmen, sondern um herauszufinden: Was bewirkt ein Coaching am Berg? Wie lassen sich Probleme in der Natur lösen? Hilft mir die Bewegung zu verinnerlichen, was ich mit meinem Coach herausfinde? Ich habe auch Fragen aus meinem Alltag mitgebracht: Was hält mich ab, mein nächstes Buch zu beginnen? Aber auch: Wie kann ich besser auf mich aufpassen, für mich sorgen, mit mehr Ruhe gönnen in meinem vollen Leben?

 Als mich Pauli Trenkwalder morgens in meinem Hotel in Sterzing abholt, habe ich plötzlich Angst. Ist Wandern nicht eine private Angelegenheit, genau wie meine Sorgen? Warum liefere ich mich freiwillig diesem 43-jährigen Mann aus, der zwar einen freundlichen Eindruck macht – aber wer weiß schon, ,wie er sich auf dem Berg verhalten wird?

Wir rumpeln in seinem VW-Bus über Schlaglöcher, Pauli versteht meine Angst. Sagt, am Berg sei man halt aufeinander angewiesen. Ein spontaner Kontaktabbruch unmöglich. Man brauche eine Vertrauensbasis, deshalb führe er mit seinen Klienten ein Vorgespräch. Um Nähe zu schaffen. Themen zu sondieren. Er macht das seit mehr als 16 Jahren. Zu ihm kommen Menschen mit Job- oder Beziehungsproblemen, Erschöpfte oder solche, die vor einer schweren Entscheidung stehen oder eine private oder berufliche Kurskorrektur benötigen. Menschen, die ein richtungsweisendes Gespräch suchen. Mal plant Pauli eine Tagestour, mal eine mehrwöchige Kletterreise. Manche Menschen buchen ihn zehnmal im Jahr, andere nur dann, wenn sie akuten Bedarf haben. Meistens entscheidet er, wo es langgehen soll, so wie heute. ,,Wir starten auf 1900 Metern, ziemlich weit oben. Wir haben nur einen Tag und sollten keine Zeit mit einem langen Aufstieg verlieren“, sage Pauli. Er parkt.

Nebeneinander gehen wir einen breiten Waldweg entlang. Die Wege, sie sind wichtig. Sie prägen die Gesprächssituation. Da wir uns noch nicht kennen, brauchen wir ausreichend Platz, um nebeneinander zu gehen. Ich begreife, dass der Augenkontakt am Berg freiwilliger ist als in geschlossenen Räumen. Ob ich Pauli anschaue, während ich von mir erzähle, oder den Blick schweifen lasse, ist mir überlassen. Das befreit mich, manches kommt mir auf diese Weise leichter über die Lippen. Der Weg bestimme auch das Verhältnis zwischen Nähe und Distanz. Manchmal ist er so schmal, dass man hintereinandergehen muss. Dann ist keine Unterhaltung möglich, und die Wanderer sind ihren Gedanken überlassen. Auch unser Weg ist schmaler geworden. „Ich lenke jedes Treffen“, wird Pauli später sagen. Er beobachtet genau, wie ich reagiere, ob ich zurückfalle, neben dem Weg gehe oder vorauseile. Dabei hört er genau zu. ,,Das habe ich gar nicht gefragt“, sagt er einmal, als er mich bei einem wortreichen Ausweichmanöver ertappt. Wir wandern den Westrücken des Berges hinauf durch Wolken, es ist steil und kalt geworden. Ich muss nichts entscheiden, deshalb bin ich nicht hier. Ich habe einiges entschieden, und Pauli fragt mich nun: Was genau? Was hält dich davon ab, dieses oder jenes zu tun? Die Kälte kriecht mir in die Glieder, mir gefällt nicht, was ich von mir erzähle. Ich hätte gerne meine Fassung wieder, die mir der Bergmensch mit seinen einfachen Fragen raubt.

Er macht das wie nebenbei, und in der dünnen Luft kommen mir meine Antworten ganz durchsichtig vor. Ich kann ihm auf 2500 Metern nichts vormachen, der Aufstieg kostet mich Konzentration, die Situation ist intim. Meine Stimme klingt brüchig, und das ist mir peinlich. Ich laufe voraus. Pauli folgt mir still. ,,Bise du müde? Dein Gang hat sich verändert“, stellt er schließlich fest und erzählt, dass sich der seelische Zustand im körperlichen ausdrücke. Einen Klienten habe er, der verändere den Schritt, sobald er ein bestimmtes Thema anspreche. Der schlurfe fast, so bedrücke ihn das. Wie erschöpft jemand ist, lasse sich auch am Blick ablesen: „Müde und depressive Menschen lassen ihn nicht mehr schweifen. Sie bleiben bei sich, selbst wenn Gamsböcke vorbeiziehen.“ Es tröpfelt, und Pauli kontrolliert die Wettervorhersage. Wir stehen vor einem Schild: „Weißspitze 50 Minuten“, steht darauf. Missmutig stelle ich fest, dass hier oben keine Bäume mehr wachsen und nur mehr Geröll liegt. Pauli fragt lächelnd: ,,Ist dir der Gipfel wichtig?“ Meine Stimmung scheint wie verwoben mit den tiefhängenden Wolken, und da teilen Pauli und ich Schokoladenkekse und Nüsschen. Das stabilisiert mich. Als Team entscheiden wir, zur Hühnerspielhütte abzusteigen. ,,Bist du sicher, dass das der richtige Weg ist?“, frage ich kurz darauf. Pauli schaut nur, und ich muss lachen. Was für eine Frage. Er ist in den Bergen aufgewachsen, in einem der Täler, die unter uns liegen. Schon sein Vater war Bergsteiger, auch Bergretter. Dass Berge gefährlich sind, hat Pauli früh verinnerlicht, und trotzdem hat er zusammen mit seinem Bruder „schwer geklettert“. Violett war der erste eigene Karabiner, den ihm sein Vater geschenkt hat, und groß der Wunsch, eines Tages damit Geld zu verdienen. Er studierte Psychologie in Innsbruck, machte die Bergführerausbildung, Berge und Menschen sind seine Lebensthemen. Am liebsten gehe er zu zweit los. Zu zweit bestehe die Möglichkeit, dass „etwas entstehe“, erklärt er, leichter als in einer Gruppe.

 Die Herausforderung sei es, die Menschen im Guten zu entlassen. Jemanden aufzuwühlen sei nicht so schwer, wie ihn aufzufangen. Pauli unterrichtet angehende Bergführer darin, wie sie am besten mit sperrigen Gästen umgehen. Was zu tun ist, wenn jemand in Panik ausbricht. ,,Panik ist einfach zu viel Angst“, sage Pauli ruhig, ,,und damit kann man lernen umzugehen.“ Er zeige den Menschen, die mit ihm aufsteigen, wozu sie in der Lage sind. Selbstwirksamkeit heißt das in der Psychologie. Sie sehen den Weg, den sie zurückgelegt haben, und erfahren, dass sie erreichen können, was sie sich vornehmen. Das sitzt ihnen buchstäblich in den Knochen, wenn sie in ihr Alltagsumfeld zurückkehren.

 Knödel aus Polenta und Gorgonzola, dazu Krautsalat – der Hühnerspielhütte essen wir frisch Zubereitetes, trinken selbst gemachte Holunderlimonade und blicken auf die Sterzinger Bergwelt. ,,Lass mich in Sterzing einfach am Bahnhof raus“, bitte ich Pauli, und er entgegnet lächelnd: ,,Sind wir denn schon unten?“ Sind wir nicht, vor uns liegen noch eine halbe Stunde Abstieg. Seine Frage holt mich zurück in die Gegenwart. Wir schweigen, und ich begreife, dass Stille zu einem Coaching am Berg dazugehört. Pauli Trenkwalder will mich nicht optimieren, sondern mir eine Begegnung ermöglichen. Was ich gelernt habe? Wird sich zeigen. Ob ich etwas in meinem Leben verändern werde? Vielleicht. Ziele habe ich nicht notiert, aufgestiegen bin ich trotzdem, und zwar ziemlich hoch. Stunden später stehe ich zwischen Grenzbeamten am Brenner und warte auf meinen Anschlusszug nach München. Er hat 40 Minuten Verspätung. Ich zähle die durchrauschenden Güterzüge. Es sind zwei. Die Anstrengung des Tages macht mich schwer, eine wohlige Erschöpfung. Ich muss an die Blumenwiese denken. Und daran, dass es keinen besseren Ort gibt, um sich selbst de Freundschaft anzubieten, als im weichen Gras unterhalb des Gipfels, kurz vor den ersten windschiefen Lärchen.

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Selfie. Ortler, Südtirol | Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Meine Couch, der Berg

By Interview
Interview erschienen in 

Meine Couch, der Berg

Pauli Trenkwalder führt berufsmäßig in die Berge. Und wenn erwünscht, geht er dort auch Problemen seiner Klienten psychologisch auf den Grund.

Eine Friseurin, die in einem neuen Beruf noch einmal neu beginnen will? Ein Jungunternehmer, der bei der Firmenübernahme auf unerwartete Probleme stößt? Ein Mann, der es nie länger als drei Jahre schafft, eine Liebesbeziehung aufrecht zu erhalten?

Wer zu Pauli Trenkwalder kommt, will, wenn nicht ein Problem lösen, so doch wenigstens eines besprechen – oder aber: will ganz einfach nur auf einen Berg steigen. Im Idealfall wollen Trenkwalders Klienten beides. Doch der Idealfall ist für Trenkwalder auch am anstrengendsten: Er muss dann zwei Jobs gleichzeitig erledigen. „Das geht, aber man muss sehr strukturiert
vorgehen“, sagt er.

Wer wissen will, was für Jobs der 45-jährige Mann aus Gossensaß da so verbindet, erfährt es auf seiner Homepage ganz genau: „Psychologe Mag. rer. nat.“ steht da, und „Berg- und Skiführer“, „Klinischer und Gesundheitspsychologe“, „Systemischer Coach“. Mag. rer. nat. steht im Lateinischen für Magister rerum naturalium, Magister der Naturwissenschaften. Die akkurate
Anführung des akademischen Titels mag zunächst etwas penibel erscheinen. Bergführer mögen in Sachen Sicherheitstechnik kleinlich zu sein – aber darüber hinaus? Als kleinlich oder gar als
Kleingeister gelten sie in der Regel jedenfalls nicht. Wie auch, wenn sie auf jedem Gipfel in die weite Welt schauen können?

In der Silbergasse in Gossensaß öffnet uns ein aufgeräumter Mag. rer. nat. die Tür seines Zuhauses. Aufgeräumt, das heißt bei Trenkwalder eine Schirmmütze über das lange Haar, sportliches Arc‘teryx-T-Shirt, intakte Blue Jeans, Scarpa-Laufschuhe neueren Modells, ein freundlich lächelndes Gesicht. Die angesagten Labels gehören gewissermaßen zum Erscheinungsbild Trenkwalders, denn der Mann ist sowohl Markenbotschafter des kanadischen Outdoor-Ausrüsters als auch des italienischen Bergsport-Schuhherstellers.

Donnerstagnachmittag vergangener Woche. Als Vorhut stürmt mit fliegenden Ohren zunächst ein rotbraunes wuddeliges Etwas aus dem Haus: Es ist Lulu, der Hund der Familie Trenkwalder und sprichwörtlich aus dem Häuschen. Herrchen Pauli weilt noch für einige wenige Tage zuhause. Nach dem Corona bedingten Lockdown hat auch die Bergführerei langsam wieder Fahrt aufgenommen. Am Wochenende steht für ihn ein Arbeitstermin in Arco an, danach folgt, vom Pustertal ausgehend, eine kleine Alpenüberquerung mit zwei in die Jahre gekommenen Stammkunden.

„Mir ist es gelungen, meine Arbeit über das ganze Jahr zu verteilen und in der Regel nicht mehr länger als vier bis fünf Tage fortzubleiben. Auch bin ich nicht mehr so saisonabhängig“, sagt Trenkwalder. Wenn er zwischen seinen Touren jeweils ein paar Tage zuhause ist, dann sei er das „richtig“, ergänzt er kurz später beim Kaffeemachen in seiner Küche. Richtig, das heißt für ihn die Rolle des Hausmanns, Vaters und Gatten gewissenhaft wahrzunehmen. Im Lockdown kam der Rolle des Vaters auch die Rolle des Hauslehrers seiner elfjährigen Tochter Nora zu, erzählt er.

Pauli Trenkwalder versteht es, umgehend eine angenehme Gesprächsatmosphäre zu schaffen. Mag bereits sein lieblich und unkompliziert klingender Vornamen vertrauenerweckend klingen,
so gehört die Schaffung einer angenehmen Gesprächsatmosphäre doch auch zu seinem Geschäft. Sowohl zum Geschäft des Bergführers, als auch – und hierin ungleich noch mehr – zu dem des ausgebildeten Psychologen. Die Kombination der beiden Berufe macht Trenkwalder zu einem Exoten innerhalb der beiden Zünfte. „Es muss halt jeder sein Platzl finden“, sagt Trenkwalder lapidar und schmunzelt.

Im deutschsprachigen Raum kennt er nur drei Kollegen mit einem ähnlichem Nischenangebot. Mit zwei davon arbeitet er zusammen. Einer, Martin Schwiersch, ebenfalls Psychologe und Bergführer, holte ihn als Diplomand zu Gruppe der Sicherheitsforschung des Deutschen Alpenvereins (DAV); im DAV ist Trenkwalder bis heute als Ausbilder und Referent in den Bundeslehrteams Bergsteigen und Sportklettern tätig. Mit dem anderen Kollegen, mit Jan Mersch, bietet er über die Homepage „Mensch und Berge“ psychologische Beratung und Betreuung an – für Privatpersonen, Führungskräfte sowie Teams und Gruppen. Auf Wunsch hält man Vorträge und Seminare, die schwerpunktmäßig Fragen nachgehen wie: Was macht gute Führung aus? Wie lernt man gut zu führen? Warum führt man eigentlich?

Warum Trenkwalder selbst führt – zumindest als Bergführer in den Bergen – ist schnell erzählt. Als Kind in Wiesen Pfitsch als Sohn eines Bergretters und Handwerkers mit eigenem Kleinbetrieb aufgewachsen, war er und seine beiden Geschwister nicht nur von Bergen umgeben, sondern stets auch in ein ausgesprochen bergsteigerisches (Familien-) Ambiente eingebettet. Zusammen mit seinem Bruder begab er sich alsbald in immer steilere Wände, reifte zum ausgewachsenen Alpinisten heran, dem die Bergführerei nur als eine konsequente berufliche Fortsetzung seiner Leidenschaft erschien. Es war ausgerechnet der bergbegeisterte Vater, der ihn zunächst mit einer gewichtigen Frage einbremste: „Wie willst du von deinem Bergführer-Job leben?“

Also begann Trenkwalder zunächst Architektur zu studieren, wechselte nach dem ersten Studienabschnitt kompromisslos die Route, um in das Psychologiefach einzusteigen. Währenddessen machte er sich mit Bergführer-Freunden wie Helmut Gargitter oder Renato Botte immer wieder in die weite Welt auf, um sich auf kleinen Expeditionen am liebsten an großen, weitgehend unbestiegenen Wänden auszutoben. Entlegene Regionen in Ländern wie Madagaskar, Mali, Namibia, Venezuela, Chile oder China – um nur einige zu nennen – war ihm dabei am liebsten. Irgendwann reifte in ihm die Idee, die Psychologie mit der Arbeit des Bergführers zu kombinieren. Gedacht, getan: 2003 nahm er sein Bergführer-Diplom in Empfang.

„In Mittelpunkt steht immer die Arbeit mit Menschen, ganz gleich ob ich als Bergführer oder als Psychologe arbeite“, sagt Trenkwalder. Als Bergführer hat er schnell gemerkt, dass Menschen in der Natur besser über sich selbst und ihre Gefühle reden können. Optimale Voraussetzungen für einen Psychologen. Die Berge sind ihm dabei Kulisse und Resonanzraum, in dem sich die Gespräche mit seinen Klienten entfalten können. Angebote, in denen Büroteams über Abenteuerausflüge zusammen gebracht werden sollen, sind seine Sache allerdings nicht. Zusammenhalt, Solidarität ist nicht etwas, was sich innerhalb von einem Tag erwerben lässt. Dass am Berg aber etwas geschieht, dass man sich im Unterwegssein in der Natur öffnet – das kann Trenkwalder immer wieder beobachten. Tatsächlich zeigen neurobiologische Erkenntnisse, dass schon eine Bergwanderung von drei Stunden eine positive Veränderungen der psychischen Gesundheit mit sich bringt, Angst und Energielosigkeit schwinden, mit Outdoor- oder Bergsport lässt sich eine Burnout-Erkrankung vorbeugen.

„Ich sage nicht, dass die Natur heilt, ich bin nicht esoterisch angehaucht. Aber meine Couch ist draußen, am Berg. Die Natur hilft, das Unterwegssein hilft. Der Blick kann schweifen, das wirkt entlastend“, so Trenkwalder.

In Vorgesprächen mit seinen Klienten, tastet er zunächst ab, „ob man persönlich miteinander überhaupt kann“ und wie genau der Arbeitsauftrag an ihn lautet. Manchmal ist nur das Bergführen gefragt, manchmal nur der Psychologe, mit dem man bergsteigt, und manchmal beides. Ist letzteres der Fall, schafft sich Trenkwalder ein passendes „Setting“, wie er es nennt – einen Rahmen, wo er beides unter einen Hut bringen kann: „Ich suche mir dann leichteres Gelände aus, wandere auch nur, bin auf leichten Teilstücken der Psychologe, auf ansprechenderen der Bergführer“. Trenkwalder macht ein psychologisch niederschwelliges Angebot, er ist kein Psychotherapeut, Klienten mit einem klinischen Bild wie Depression oder einer Abhängigkeitserkrankung empfiehlt er an Fachkräfte weiter. „Ich bin auf psychologische Coachings im Gebirge spezialisiert, wenn man so will“, sagt er und grinst. Zu seiner Klientel gehören demnach Menschen mit Beziehungsproblemen, Menschen, die Orientierung suchen oder vor schweren Entscheidungen stehen.

Trenkwalder kann auch selbst loslassen. „Mit ihm kann man auch einmal einen Topfen reden, richtig Spaß haben und blödeln“, sagt einer, der ihn gut kennt. Wer schon einmal eine Fortbildung oder ein Seminar von ihm besucht hat, weiß, dass er jedoch auch fordern kann, ja sein Gegenüber zuweilen auch herausfordert. „Am geschicktesten ist es, wenn man Menschen weder über- noch unterfordert“, sagt Trenkwalder. Für sich selbst scheint der Mann, der in sich ruht, jedenfalls eine gute Mischung gefunden zu haben.

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| Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Auf dem Weg zu mir selbst

By Interview
Interview erschienen in …

Auf dem Weg zu mir selbst

Berge tun der Seele gut. Aber können sie auch Probleme lösen? Marie Van Elst hat es ausprobiert und liess sich von Pauli Trenkwalder in den Bergen Südtirols zu sich selbst führen.

Was für ein Anblick! Der Himmel über dem gut 2000 Meter hohen Jaufenpass nahe Sterzing strahlt blauer als von der schönsten Postkarte. Am liebsten würde ich einfach genau hier bleiben und mich sattsehen. ,,Dort wollen wir heute rauf.“ Pauli Trenkwalder, mein Bergführer, zeigt in Richtung Gipfel. Ich kneife die Augen zusammen. Die Sonne blendet mich. Irgendwo zwischen Wiese und Fels kann ich einen schmalen Weg erkennen. Sieht steil aus. Ob mir beim Anstieg genug Atem zum Reden bleibt? Schließlich bin ich deshalb hierhergekommen.

 

Etwas verändern

Es ist nämlich so: Ich bin ein wenig aus dem Gleichgewicht geraten. Job, Familie, Partnerschaft und der Wunsch, auch ein bisschen noch mein eigenes Ding zu machen – irgendwann dachte ich mal, ich bekäme das alles locker unter einen Hut. Aber ich merke immer mehr, wie ich ständig meinen eigenen Ansprüchen hinterherhetze. Zumal ich auch gerne noch jedes zusätzlichePäckchen mitnehme, das das Leben mir vor die Füße wirft. ,,Klar, das schaff ich auch noch“, denke ich dann. Doch langsam geht mir die Kraft aus. Und ich würde sie mir sehr gerne zurückholen.

Pauli Trenkwalder kennt diesen Wunsch. Seit 14 Jahren arbeitet er als Psychologe. Und zwar ohne Couch und Praxis, sondern in den Bergen. Der 44-Jährige ist in Südtirol aufgewachsen. Sein Vater arbeitete bei der Bergrettung, Pauli klettert, seit er laufen kann. Er weiß, wie gefährlich die Berge sind, aber auch, wie gut sie der Seele tun können. Deshalb hat er vor ein paar Jahren beides verbunden – Psychologie und Wandern. ,,Bei meiner Arbeit als Bergführer habe ich gemerkt, dass die Menschen hier draußen besser über sich selbst und ihre Gefühle reden können. Für mich als Psychologen sind das optimale Voraussetzungen.“ Zu ihm kommen Leute mit Beziehungsproblemen, die Orientierung suchen oder bei einer schweren Entscheidung unterstützt werden wollen. Pauli setzt bei seiner Form der Therapie vor allem auf geteilte Zeit, gemeinsame Erlebnisse und den natürlichen Rhythmus, der sich beim Wandern ergibt. Ich allerdings zweifle noch, ob ein einziger Tag ausreicht, um mich einem Fremden zu öffnen.

 

Nichts Anmerken lassen

Als wir losgehen, ist der Weg breit und relativ flach. Ich nehme die ersten Meter so schnell, dass ich direkt außer Atem bin. Für den blauen Himmel, die blühenden Wiesen und die mächtigen, zum Teil selbst jetzt im Sommer noch weiß getupften Berge rundum habe ich gar kein Auge. Stattdessen konzentriere ich mich darauf, so geräuschlos wie möglich weiterzuatmen, damit Pauli mir die Anstrengung nicht anmerkt. An der ersten etwas schwierigen Stelle will er mir die Hand reichen. ,,Ich schaffe das schon!“, sage ich, und es klingt schroffer als beabsichtigt. Eigentlich ist es mir auf dem engen Steig mit dem dünnen Drahtseil als einzigem Halt nämlich schon etwas mulmig. Pauli lächelt verständnisvoll, und die kleinen Falten um seine grünen Augen graben sich tiefer in seine sonnengebräunte Haut. Ich lächle zögerlich zurück. Was er jetzt wohl von mir denkt?

„Die Menschen denken, ich könnte sie lesen wie ein Buch“, sagt er in die Stille. Ich fühle mich ertappt. Viele glaubten, so Pauli, dass man als Psychologe lerne, alles zu deuten und zu interpretieren. Das stimme zwar nicht, aber dennoch nutze er diesen Irrtum gerne, um seinen Klienten am Berg näherzukommen und das Ungesagte, das, was wirklich auf ihrer Seele liege, aus ihnen herauszukitzeln. ,,Oft geht es bei meiner Arbeit darum, Verhaltensmuster aufzudecken.“ Viele stammen noch aus der Kindheit. Sie haben sich zu irgendeinem Zeitpunkt bewährt. Doch jetzt stören sie. So wie mein Drang, keine Schwäche zu zeigen. Schule, Uni, Job – er war lange mein Motor. Doch jetzt, wo ich in meinem Leben angekommen bin, hindert er mich daran, Ruhe zu finden. Ich gönne mir keine Pausen.

 

Müssen oder Wollen

Pauli übernimmt die Führung. Ich lasse ihn das Tempo bestimmen. Wir werden langsamer. Endlich kann auch ich meinen Blick schweifen lassen, registriere die weiß blühenden Heidelbeersträucher am Wegesrand, die wilden Blumen auf den Wiesen und die mächtigen Ötztaler Alpen am Horizont. Ich atme tief durch und versuche, diese unglaubliche Weite in mir aufzunehmen. Während meine Schritte endlich ihren Rhythmus finden und sich mein Atem normalisiert, geht Pauli in Vorleistung und erzählt viel über sich, seine Tochter und seine Frau, mit der er sich immer über die richtige Methode zum Wäscheaufhängen zankt. Ich lache, bleibe stehen. Unter uns, im Jaufental, versprechen einzelne Holzhäuser Geborgenheit, wie man sie aus den Geschichten von Heidi kennt. Über uns zieht ein Adler seine Kreise.

Ich merke, wie meine Schale knackt. Ich gehe weiter und muss an meine Familie denken, meinen Alltag, meine Arbeit. ,,Wo bist du jetzt?“ Paulis Frage schreckt mich auf. ,,Ich weiß es nicht.“ Die Gedanken sind zu schnell. Ob mein Mann die Waschmaschine in meiner Abwesenheit mal angeschmissen hat? Schaffe ich die liegen gebliebene Arbeit auf meinem Schreibtisch? Vermissen mich die Kinder? Alle Fragen stellen sich gleichzeitig, so wie im Alltag oft alle Aufgaben. Ich bin überwältigt von dem Gefühl, mich um so vieles kümmern zu müssen. ,,Musst du das wirklich?“, fragt Pauli.

 

Den Blickwinkel ändern

Nach gut 45 Minuten Wandern sind wir bei einer zentralen Frage meines Lebens angelangt. ,,Muss ich das wirklich?“ Ich glaube schon. Trotzdem gestehe ich Pauli, wie ich mich abends manchmal ins dunkle Schlafzimmer schleiche, während meine Söhne mit meinem Mann die Zähne putzen. Fünf Minuten Ruhe und Stille. ,,Das ist doch großartig“, sagt Pauli. ,,Da hast du doch einenwunderbaren Weg gefunden, um deine Belastung abzumildern und dich zu entspannen.“ – ,,Aber es sind doch bloß fünf Minuten“, erwidere ich. ,,Viele Menschen schaffen selbst das nicht. Da sind alle Ventile zu. Dann kommt der Burn-out.“

Bisher habe ich meine Minuten im Schlafzimmer immer als Flucht gewertet. Ich bin nicht bei den Kindern, helfe meinem Mann nicht. Pauli dreht den Gedanken einfach um. Ich bin überrascht, wie einfach man den Blickwinkel wechseln kann. Natürlich gelingt das nicht immer so leicht. Aber die Idee beschwingt mich. Obwohl der Pass zum Gipfel hin immer schmaler und steiler wird, werden meine Schritte leichter und sicherer. Ich spüre die warme Sonne. Wie schön es hier ist! In mir wächst das Gefühl, mit einem Freund unterwegs zu sein. Die Sorte, die nicht nur redet, sondern auch fragt und einen herausfordert.

 

Auf dem Weg

Die letzten Schritte zum Gipfel lässt Pauli mich allein gehen. So habe ich alles einen Moment lang für mich – meine Gedanken, die schroffen Felsen und diese unfassbare Aussicht. Bis zum Horizont türmen sich die Berge wie Wellen. Manche sind mit vollen Wäldern bewachsen, andere schneebedeckt. Ich komme mir klein und gleichzeitig wahnsinnig groß vor. Ich fühle mich stark und voller Energie. Eigentlich ist es doch ganz gut, mein Leben. Ich muss nur öfter durchatmen. Im dunklen Schlafzimmer oder eben hier in den Bergen. Diesen Gedanken werde ich festhalten und mitnehmen – auf meinem Weg ins Tal und in meinen Alltag.

 

Coaching in den Bergen und Anreise

Pauli Trenkwalder erklimmt mit seinen Klienten je nach Wunsch Gipfel oder führt sie auch auf mehrtägige Touren. Preis nach Absprache. Menschundberg.com
Anreisen nach Südtirol kann man gut mit der Bahn (bahn.de). Von München über den Brenner gibt es täglich fünf direkte Verbindungen nach Bozen. Von dort geht’s zu den weiteren Reisezielen bequem und günstig mit dem gut ausgebauten Nahverkehrssystem. Nähere  Informationen finden sich unter suedtirol.info/anreise

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| Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Und ob ich das kann!

By Interview
Interview erschienen in …

Und ob ich das kann!

Jetzt kenne ich meine Grenzen. Und Respektiere Sie.

Nina Banneyer, 53, konfrontierte sich am Berg mit ihrer Höhenangst

Auf einem winzigen Vorsprung stehen meine Füße, mein Körper an den nackten Felsen gepresst. Runterschauen? Auf keinen Fall. Mein Atem rast, mein Herz auch. Was, wenn ich eine falsche Bewegung mache? Ich sehe mich schon unten liegen. Von oben höre ich ungeduldig: „Los, weiter – ist nicht mehr weit!“ Sagt sich so leicht. Ich bin wie gelähmt vor Panik. Wie komme ich hier nur raus? Vielleicht mit dem Rettungshubschrauber?

Die erste Attacke von Höhenangst packte mich vor etwa 4 Jahren auf einer anstrengenden Bergtour, die über einen Klettersteig führte. Ich war selbst überrascht. Und erschrocken, als die Angst danach immer häufiger zuschlug. Als mich schließlich sogar auf einem Balkon im fünften Stock Panikgefühle überkommen, beschließe ich, aktiv zu werden. Über den Tipp einer Ex-Kollegin finde ich zu Pauli Trenkwalder. Erfahrener Bergführer, diplomierter Psychologe und Coach. Er begleitet Leute wie mich, die unter Höhenangst leiden. In einem Telefonat versuchen wir herauszufinden, ob es für uns beide passt, wie Pauli sagt. Pauli ist sympathisch, vertrauensweckend, und er hört genau zu. Ich erzähle ihm alles: von meiner Höhenangst seit der Panikattacke auf dem Berg, wie schlimm es für mich war, zu erleben, dass mein Körper nicht mehr das tat hat, was ich wollte. Und dass mich inzwischen Angst überfällt, wenn ich nur auf einem hohen Balkon stehe. Pauli bittet mich, zu erzählen, wie es zu dem Ereignis gekommen sei. Zu dem „Ausgesetztsein“, wie er es in seinem angenehmen Südtiroler Dialekt nennt. Ich erzähle, dass ich mich bei der Planung einer vermeintlich mittelschweren Wanderung komplett auf meinen Begleiter verlassen habe. Und wie unwohl ich mich fühlte, als wir den Weg verloren und auf einer rutschigen, steil abfallenden Bergflanke landeten. Meine Knie zitterten, als wir uns schließlich vor einem Klettersteig wiederfanden, wo Stahlseile und Haken in den Berg gehauen waren. Ich verdrängte mein ungutes Gefühl, bis ich schließlich bewegungslos am Felsen hing. Mein Begleiter reagierte verständnislos. „Angst gibt es nicht“, rief er mir stattdessen zu.

Pauli sieht das anders. „Angst in der Höhe ist eine natürliche Reaktion des Körpers, die Sinn hat“, sagt er. „Sie ist schützend.“ Und die Angst auf dem Balkon? „Die macht nicht so viel Sinn. Das können wir uns anschauen.“ Zwei Monate später treffen wir uns in Sterzing in Südtirol. Hier soll ich meine Höhenangst hinter mir lassen. Und zwar am Berg. „Was ist dein Ziel?“, fragt Pauli mich, als wir uns am Abend zuvor zum Vorgespräch treffen. „Ich möchte einen Klettersteig gehen können“, antworte ich wild entschlossen. Pauli stutzt. Warum gleich einen Klettersteig? Weil ich zum Ursprung meiner Angst zurückgehen möchte. Ich möchte genau die Bewegungsunfähigkeit überwinden, die mich damals lähmte. Und gleichzeitig merke ich, wie nervös mich mein im Wortsinn hochgestecktes Ziel macht. Ich habe echt Bammel.

Am nächsten Tag fahren wir in ein abgeschiedenes Bergtal. Respekt einflößende graue Steinberge erheben sich über mir, manche von ihnen sind mit Schnee bedeckt. Meine Idee, einen Klettersteig gehen zu wollen, kommt mir jetzt reichlich übertrieben vor. Noch dazu sehe ich etwas skeptisch, wie Pauli Helme, lange Seile und Klettergurte und Karabinerhaken einpackt. Was hat er vor? Ich stapfe hinter ihm die Blumenwiese hoch. Als Pauli anhält, stehen wir an einer Stelle, wo es sanft den Berg hinunter geht. Ein kleiner Abhang mit Gebüsch und Gehölz. Pauli fragt: „Wie geht es dir? Ist das aushaltbar für dich?“ Was? – denke ich, dieser kleine Abhang soll mir Angst einflößen? „Nein, alles gut.“ Manche hätten hier schon Höhenangst, erzählt er mir. Für mich unvorstellbar, denn hier hole ich mir allenfalls ein paar blaue Flecken, wenn ich stolpere und hinunterfalle. „Siehst du“, sagt er. „Du kannst es dir rational erklären.“ Wir marschieren weiter, der Weg wird schmaler und abschüssiger. Geröll und Kiesel am Wegesrand, kein abpolsterndes Gebüsch mehr. Herunterfallen möchte ich hier nicht. „Und?“, fragt Pauli, „wie ist es hier?“ „In Ordnung“, sage ich. Ich habe keine Angst. Nächster Stopp. Ein grasiges Plateau, unter uns die letzten Bäume. Ich sage: „Solange ich Bäume sehe, geht es mir gut, da habe ich keine Angst.“ Pauli erwidert. „Da weiß jemand, wie weit er gehen kann“. Meine persönliche Grenze ist also gesetzt.

Dann stehen wir vor dem Klettersteig. In den Berg gehauene Stahlseile führen steil hinauf. „Fühlst du dich bereit?“, fragt Pauli. Ich nicke. Ich bekomme einen Klettergurt, der um die Hüfte und um die Beine geschlungen ist. Daran wird das Klettersteigset befestigt, an dem zwei Karabiner an Zugseilen hängen. Ich kann mich also selbst sichern an dem Stahlseil, das in dem Berg eingelassen ist. Zusätzlich dazu sichert mich Pauli mit Seilen. Er sagt: „Ich vertraue dir, dass du das schaffst, und Du vertraust mir, dass ich dich halte.“ Es kann mir also nichts passieren. Dieses Vertrauen, das merke ich jetzt, ist das Allentscheidende. Ich fühle mich sicher. Aufgeregt, aber ohne Angst. Pauli erklärt mir, wie hoch dieser Klettersteig geht und welchen Verlauf er hat. Auch das ist wichtig. Ungewissheit verunsichert und verängstigt. In etwa zu wissen, was auf einen zukommt, hat etwas Beruhigendes. Dann geht es los. Ich konzentriere mich auf die Tritte, halte mich am Seil oder an Steingriffen fest. Und stelle erstaunt fest: Es macht Spaß, großen Spaß sogar! Ruck Zuck bin ich oben.

Ich bin stolz, es bis hier hingeschafft zu haben. Aber auch irritiert. Habe ich doch gar keine Höhenangst? War das nur Einbildung? Wenn es jetzt so einfach für mich ist, was ist dann bei dieser Panikattacke am Berg passiert? „Du hättest den Klettersteig damals wahrscheinlich sogar geschafft, wenn du nicht schon vorher am Steilstück Angst bekommen hättest“, sagt Pauli. „So war deine psychische Kraft schon aufgebraucht. Jeder hat davon nur ein bestimmtes Kontingent davon. Wenn das verbraucht ist, kommt die Angst.“ Niemand sei vor Höhenangst gefeit, beruhigt er mich. Er habe schon Profi – Kletterer gesehen, die plötzlich in der Wand festhingen, weil auch sie ihre psychische Reserve aufgebraucht hatten. Deswegen sei es so wichtig, Bergtouren an den eigenen Grenzen auszurichten und gut zu planen.

Ich verstehe. Und will am liebsten gleich weiter hochsteigen, so euphorisch hat mich der Triumph über meine Angst gemacht. „Ich glaube, es ist genug“, sagt Pauli. „Höhenangst besiegt man, wenn man in kleinen Dosen positive Erlebnisse sammelt.“ Wir haben die genau richtige Dosis erreicht. Auf der Tour habe ich nicht nur gelernt, mich im Gelände so zu bewegen, dass ich mich im Gebirge sicher fühle. Vor allem habe ich gelernt, Grenzen zu erkennen und zu achten. Meine Kraft richtig einzuschätzen, in mich reinzuhorchen. Das gilt nicht nur für die Berge, sondern hilft mir auch im Alltag.

Meine Tipps gegen die Höhenangst

  1. Naturbeobachtungen beruhigen und lenken ab. Öfter mal den Blick in die Weite schweifen lassen und schauen, was man so sieht. Dabei tief ein und ausatmen.
  2. Achtung: Sich an eine vermeintlich sichere Felswand zu lehnen, versteht der Körper als Alarmsignal, weil sich der Schwerpunkt verlagert. Lieber auf beide Füße stellen und zur Mitte ausrichten.
  3. Lippenbremse: Die Lippen zusammenpressen und fest ausatmen. Bringt den Sauerstoff-Haushalt wieder ins Gleichgewicht und schwächt so die Angst- oder Panikattacken ab.

Spaziergang mit Hund – das trau ich mich jetzt

Johanna Mohr, 29, hat sich ihrer Hundeangst gestellt – und die Vierbeiner anders kennengelernt.

Es war mein erster Job, ich war 14 und unglaublich stolz: Jeden Samstag trug ich Supermarkt Werbung aus und verdiente so mein erstes eigenes Geld. An einem Morgen betrat ich ein Grundstück, das ich schon einige Male beliefert hatte. Plötzlich preschte ein Labrador- Retriever bellend auf mich zu und sprang an mir hoch. Ehe ich mich versah, biss er in die Prospekte in meiner Hand und zerfetzte sie knurrend. Zum Glück griff der Besitzer ein. Ich war trotzdem völlig verstört. Und gehe seither mit großer Angst vor Hunden durchs Leben.

Ich fürchte mich vor allem vor größeren Hunden. Was blöd ist, denn die Vierbeiner sind überall. In der Stadt, im Park, bei Freunden und immer öfter auch im Büro. Allein joggen im Feld? Für mich unmöglich. Auf dem Gehweg wechsle ich die Seite, wenn mir ein Mensch mit Hund entgegenkommt. Wie oft habe ich mich schon hinter Bäumen, Müllcontainern oder Autos versteckt, weil irgendwo ein frei laufender Hund herumscharwenzelte? Dass meine Hundeangst nur von sehr wenigen Menschen ernst genommen wird, macht es nicht leichter. Aussagen wie „Der tut doch nichts“, helfen einem nicht. Dabei mag ich Hunde sogar. Trotzdem hielt ich sie die letzten 15 Jahre lieber auf Distanz.

Als ich dieses Jahr in eine neue Wohnung ziehe – mit einer Mitbewohnerin, die ihren Windhund ab und zu da hat – beschließe ich: Es muss sich was ändern. Auf meiner Suche nach einem Training stoße ich auf wecoachyou. Das Team aus fünf Mensch-Hund-Coachinnen, mit Standorten in Offenburg, Frankfurt, München, Polling und Dresden, verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der die individuellen Persönlichkeitsmerkmale von Mensch und Hund berücksichtigt (wecoachyou.de). Von den Coachinnen ist eine Veterinärmedizinerin und drei andere sind staatlich geprüfte Hundetrainerinnen.

Beim Kennenlerntermin mit Petra Metz und Angelika Peter sprechen wir über den Auslöser meiner Angst – und ganz viel anderes: über meine Eltern, ehemalige Lehrkräfte, meinen Partner und Freunde, über Introversion und Unsicherheiten. Ich lerne, dass es okay ist, Angst zu haben, und ich mich dafür nicht schämen muss. Und noch viel wichtiger: ich darf erwarten, dass man meine Angst respektiert. Zum Abschluss geben mir die beiden konkrete Tipps zur Bewältigung von Angstattacken. Mein Körper reagiert meist mit Schwitzen und schnellem Atem, ich verkrampfe und kämpfe mit den Tränen. Was da hilft? „Schreien zum Beispiel“, sagt Petra. „Manche singen auch, hüpfen auf und ab oder schütteln sich. Egal wie, du musst die Anspannung im wahrsten Sinne abschütteln, damit du nicht noch mehr verkrampfst“, erklärt sie.

Gelegenheit dazu bietet sich zwei Wochen später beim Seminar „Dein Hund & Du“. Petra und Angelika wollen uns anleiten, das Wesen eines Hundes besser zu erkennen und zu verstehen. Wir schauen uns verschiedene Hunderassen an. Ich lerne, dass auch Hunde intro- oder extravertiert sind und jeder Hund eine Rolle hat: Entscheidungsträger, Leithund oder Mitarbeiter. Dann üben wir mit echten Tieren. Als ein Hund eine schnell laufende Teilnehmerin bellend verfolgt, erschrecke ich. Bellen triggert meine große Angst, gebissen zu werden. Wie empfohlen reagiere ich mit kräftigem Schütteln und einem lauten „woah“. Und tatsächlich: Ich bin weniger angespannt. „Ein Hund, der bellt, hat was zu sagen“, erklärt mir Petra. Und dass es sehr lange dauert, bis ein Hund wirklich beißt. „Nur wenn er sich bedrängt fühlt.“ Gehe ich also an einem Hund vorbei, der mich anbellt, kann ich sagen: „Ich möchte nur hier lang gehen. Ich tue dir nichts, du tust mir nichts.“ Hunde, so Angelika, spüren die Energie eines Menschen. Je vertrauensvoller ich zu mir selbst bin, desto besser können auch Hunde mich einschätzen.

Zum Abschluss nehmen mich Teilnehmer Martin und seine Hündin Kira mit auf einen Spaziergang. Wir laufen durchs Feld, Kira streift an meinen Beinen vorbei. Ich bin innerlich bei mir und weiß, dass sie nur schnuppert. Dass keine Gefahr von ihr ausgeht, das spürt auch sie. Als uns ein körperlich deutlich überlegener Rüde entgegenkommt, drehen wir auf meinen Wunsch dann aber doch um. „Du kannst nicht von heute auf morgen den Schalter umlegen. Das ist ein langer Prozess, der einfach Zeit braucht“, ermutigen mich die Coachinnen. Immerhin: Ein Anfang ist gemacht.

Meine Tipps gegen Angst vor Hunden

  1. Bewältigungsstrategien wie Singen oder sich schütteln helfen während der Angstattacke, überschüssige Energie loszuwerden.
  2. Kleine oder besonders sanftmütige Hunde sind ein guter Anfang, um sich den Vierbeinern anzunähern.
  3. Ihre Freundin hat einen Hund? Begleiten Sie sie auf die Hundewiese und beobachten Sie die Tiere und ihr Verhalten aus sicherem Abstand.

Ich fahre wieder. Und werde jeden Tag sicherer

Anna-Helene Leitz, 44, hat sich nach über 20 Jahren wieder ans Steuer getraut – dank Fahrstunden bei einer spezialisierten Lehrerin.

Die Ampel springt auf Grün. Ich gebe Gas. Rechts abbiegen. Nach 350 Metern halte ich am Straßenrand, blinke, parke rückwärts ein. Geschafft. Mit einem stolzen Lächeln ziehe ich den Schlüssel ab. Ich habe gerade meinen Sohn von seinem Freund abgeholt – mit dem Auto.

Klingt total selbstverständlich für Sie? Für mich war es das lange nicht. Dabei habe ich meinen Führerschein seit fast 25 Jahren. Gefahren bin ich davon allerdings nur knapp drei. Mit Anfang 20 geriet ich mit einem Kleinbus auf der Autobahn ins Schleudern. Ich hatte Todesangst und obwohl zum Glück nichts passierte – mein damaliger Freund griff ins Lenkrad und half mir, das Auto auf dem Standstreifen zum Stehen zu bringen – habe ich mich ab diesem Moment nicht mehr hinters Steuer getraut. Aus Angst, wieder die Kontrolle über ein Fahrzeug zu verlieren und dadurch mich und andere in Gefahr zu bringen.

Vermeidungsverhalten nennen das Verkehrspsychologen wie Birgit Scheucher von der Verkehrspsychologischen Praxis München. Das Problem: „Das Vermeiden schützt zwar vor angstauslösenden Situationen, verhindert aber langfristig, dass das Gehirn neue, positive Erfahrungen mit dem Autofahren verknüpft. So bleibt die Angst bestehen und ist beim nächsten Fahrversuch möglicherweise noch größer.“ Diese Erfahrung musste auch ich machen: Einmal fuhr ich mit meinem Mann um den Block, ein anderes Mal nahm ich eine Auffrischungsstunde in einer örtlichen Fahrschule. Beide Male war ich danach noch unsicherer als vorher. Gleichzeitig ärgerte ich mich immer mehr darüber, so unselbstständig zu sein. Ständig musste ich andere bitten, mich mitzunehmen, meine Kinder zum Turnen, zum Reiten, zum Oboenunterricht zu fahren.

Vor gut einem Jahr beschließe ich also, es noch einmal zu versuchen – diesmal mit einer Expertin und in meinem eigenen Tempo. Ich melde mich bei Nina Kandlbinder von der Münchner Fahrschule „Pro-Frau“ (frauen-fahrschule.com). Die 44-Jährige hat sich auf Frauen mit Fahrangst spezialisiert, zu ihr kommen Schülerinnen jeden Alters, von Mitte 20 bis über 60. „Sie sind längst nicht die Einzige“, beruhigt sie mich im Vorgespräch. Trotzdem bin ich vor der ersten Stunde unglaublich nervös: Was, wenn ich wirklich nicht mehr fahren kann? Wenn ich das Gaspedal nicht mehr finde? Oder das Auto beim Ausparken an die Wand setze? Aber meine Sorgen sind unbegründet. Nina Kandlbinder nimmt sich die Zeit, mir alles noch mal von Grund auf zu zeigen: Spiegel einstellen, Blinker setzen, rückwärtsfahren. „Der erste Schritt ist es, mit dem Auto vertraut zu werden, das ist die Basis, auf der alles aufbaut.“ Die ersten beiden Stunden üben wir nur auf dem Parkplatz. Im Schritttempo fahre ich von Lücke zu Lücke, immer darauf bedacht, das Lenkrad gerade zu halten. Danach geht es durchs Wohngebiet. Ich wiederhole, worauf es beim Linksabbiegen ankommt, „großer Bogen, auf Gegenverkehr und Radfahrer achten!“, und wie man beim Rückwärtseinparken korrigiert.

Von Stunde zu Stunde achte ich weniger auf mich und fokussiere mehr auf den Verkehr um mich herum. Das gibt mir die nötige Sicherheit, um mich in die belebte Innenstadt und schließlich auch auf die Autobahn zu trauen. „Konzentrieren Sie sich auf den Abstand zum Vordermann und lassen Sie sich nicht drängeln“, rät mir Nina Kandlbinder mit ruhiger Stimme. Nie wird sie laut, nie ungeduldig – im Gegenteil, wir lachen unheimlich viel miteinander. Nach jeder Stunde besprechen wir die kritischen Situationen, aber auch, was richtig gut gelaufen ist. Ich bekomme Hausaufgaben, zum Beispiel sonntags zum Supermarkt zu fahren, um das Einparken zu üben. So kann ich auch die Zeit zwischen den Stunden nutzen. Dazu gibt es ein Begleitbuch für die Theorie. Aus den geplanten zehn Fahrstunden werden schließlich 14. Die erste habe ich im September gemacht, die letzte im Mai. Ich habe mir Zeit gelassen, viel geübt. Und auch ein paar Dellen in unser Auto gefahren (die Einfahrt ist wirklich sehr schmal). Aber jetzt fahre ich wieder. Und ich werde jeden Tag sicherer.

Meine Tipps gegen Fahrangst

  1. Nicht drängeln lassen. Brenzlige Situationen entstehen meist durch Hektik.
  2. Nicht fahren, wenn man wütend oder traurig ist. Miese Laune überträgt sich sofort auf den Fahrstil. Besser: zur Ruhe kommen oder doch das Rad nehmen.
  3. Üben, üben, üben. Am besten am Sonntagmorgen, da ist wenig Verkehr.
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| Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Wir sind Meister im Zurückdrängen der Angst

By Interview
Interview erschienen in …

Wir sind Meister im Zurückdrängen der Angst

Langsam lernen, reflektieren und aufeinander aufpassen: Psychologe und Bergführer Pauli Trenkwalder über Kontrolle und Orientierung am Berg und das Verhältnis von Bergführer und Gast.

Was bewegt Menschen, sich beim Klettern in Gefahr zu bringen?
Das hat etwas mit Selbstverwirklichung zu tun, damit zu zeigen, dass man es kann. Und wir bereiten uns ja darauf vor, weil wir verstehen, dass es gefährlich sein kann. Auch dieses Herantasten, dass man sich das erarbeiten muss, ist ein positiver Faktor.

Wie erlebst du als Bergführer, dass Menschen auf das Risiko in den Bergen reagieren?
Wir sprechen umgangssprachlich von Risiko, aber eigentlich bewegen wir uns in Unsicherheiten. Bergführerinnen und Bergführer lernen, mit dieser Unsicherheit umzugehen und Entscheidungen zu treffen unter Unsicherheit. Und das lernen wir wie alle, indem wir das Schritt für Schritt machen. Ob die Menschen irgendwo Informationen einholen oder sich in Kursen ausbilden lassen: Sie machen den Schritt von der Fremd- zur Eigenentwicklung, wenn man das von den Kompetenzen her sieht. Wenn nun ein Gast von mir irgendwo exponiert steht, da wird er vielleicht schon Angst und Sorge erfahren. Das ist eine normale psychische Reaktion. Erfahrene Bergsteiger und Bergsteigerinnen haben gelernt, diese Angst zurückzudrängen. Sie sind Meister darin.

Das ist aber auch eine Frage der Erfahrung und Routine?
Genau. Wenn wir irgend etwas Neues lernen, tut‘s uns gut, wenn die Dosis klein ist. Dann gewöhnen wir uns dran und lernen das besser kennen. Und die Fähigkeiten, damit umgehen zu können, werden allmählich größer.

Und diese Fähigkeiten sind notwendig, um sich in diesem exponierten Gelände sicher bewegen zu können.
Genau. Menschen haben ein Grundbedürfnis nach Sicherheit, wozu wir auch Kontrolle und Orientierung sagen können. Wenn sie einen Kontrollverlust erleiden, dann ist das unglaublich unangenehmes Gefühl. Im Verhältnis Gast /Bergführer oder Bergführerin gibt der Gast einen Teil ab. Und ich bin dafür zuständig, dass diese Person Kontrolle und Orientierung hat, um sich dann am Berg oder in der Wand bewegen zu können.

Besteht die Gefahr, dass man, wenn man lange klettert, die Gefahr unterschätzt? Weil man sich so daran gewöhnt hat?
Wir zwei am Stammtisch würden sagen: ja. Aber ich kenne die Zahlen dazu nicht. Wobei natürlich Personen, die sehr viel klettern, auch die größere statistische Wahrscheinlichkeit haben, etwas falsch zu machen. Mein Leitsatz ist: Auch wenn ich etwas schon sehr oft gemacht habe – jetzt muss ich mich konzentrieren und noch einmal kontrollieren! Da kommen dann der Selbstcheck und der Partnercheck ins Spiel. Ich schule beides, wobei es mir schon reicht, wenn wir zwei zusammen klettern, dass wir da gegenseitig noch einmal einen Blick drauf werfen. Weil wir ja gemeinsam klettern und weil ich das für dich und mich als Seilschaft machen will. Das gehört einfach dazu, dass man gegenseitig aufeinander aufpasst. Das ist eine Frage der Fürsorge.

Sind wir in der Lage, uns selbst und unsere Fähigkeiten korrekt einzuschätzen?
Sind wir nicht, sonst wäre diese Welt ja nicht so schräg (lacht). Ansonsten hängt diese Selbsteinschätzung auch von der Lebensphase ab. Wenn wir junge Bergsteiger anschauen, dann merken wir, dass wir älter geworden sind und heute sagen: So haben wir das auch mal erlebt, aber so würden wir es heute nicht mehr machen. Ist das jetzt Erfahrung oder einfach mehr Angst? Oder mehr Verantwortung, weil man noch jemand hat im Leben? Selbsteinschätzung lernen wir, indem wir reflektieren. Vom Anfänger zur Könnerin zum Experten, da komme ich nur hin, wenn ich mein Tun reflektiere, für mich selbst, im Gespräch mit Freunden und Kollegen. Das ist ein lebenslanger Prozess, der einen weiter bringt im Finden und Treffen von guten Entscheidungen.

Weisen erfolgreiche Alpinistinnen und Alpinisten bestimmte Persönlichkeitsmerkmale auf, die sie besser geeignet machen als andere?
Da habe ich keine Zahlen dazu und weiß es daher auch nicht. Ich finde es auch generell schwierig, einem Menschen eine Persönlichkeit oder eine psychologische Diagnostik zuschreiben, der gar nicht da ist. Das macht man nicht, da kannst du gleich Kaffeesatz lesen. Aber sehen wir es einmal anders herum: Wird durch das Bergsteigen meine Persönlichkeit auch gebildet? Hat das Klettern uns geprägt, dich und mich? Da würden wir wohl beide ja sagen. Und für mich ist das positiv besetzt. Auf welchem Schwierigkeitslevel das jetzt stattfindet, ist eigentlich ziemlich egal. Manche können das halt einfach besser, haben mehr Erfahrung und bewegen sich in viel größeren Unsicherheiten. Aber sie haben auch die größeren Fähigkeiten und wissen, worauf sie sich eingelassen haben. Die andere sagt: „Große Zinne Normalweg, wunderbar, da habe ich genug zu kämpfen mit mir.“ Das ist ein anderes Level, aber auch für sie bildet sich die Persönlichkeit.

Wie kommt man in der Seilschaft aus einer Situation, in der man sich nicht wohlfühlt, aber der oder die andere will weiter?
Wunderbar ist natürlich, wenn eine Seilschaft oder Gruppe homogen ist. Aber selbst dann ist mal der eine oder die andere stärker oder schwächer. Meistens haben solche Seilschaften oder Gruppen gelernt, damit umzugehen. Du hast ein sehr unzufriedenstellendes Bild gezeichnet, dass einer oder eine nur weitergeht, weil der andere es will. Da würde ich dann nicht mehr mitgehen, weil ich darauf keinen Bock hätte. Ich kann nur eine Empfehlung aussprechen: Das, was du gerne machst – nämlich in die Berge gehen –, ist noch mal schöner, wenn du die richtige Seilpartnerin oder den richtigen Seilpartner hast.

Aber was mache ich, wenn ich mich absolut unwohl fühle und mir in der Tour Zweifel kommen. Die darf ich doch anmelden?
Ja. Erst wenn du sagst, wie es dir gerade geht und was deine Sorgen sind, hat das Gegenüber die Möglichkeit zu verstehen, um was es da geht. Es kann ja sein, dass die Person das ganz anders sieht. Und die Hoffnung zu haben, dass der andere irgendwie spürt, dass dir unwohl ist, dass ist nicht ideal. Was hilfreich ist und was einem persönlich gut tut: Ganz kurze, prägnante Sätze, wie es dir gerade geht. Dann habe ich die Möglichkeit, das nachzuvollziehen, dir zu erklären, dass ich das anders sehe, oder eine Handlung einzuleiten.

Gibt es bestimmte Sicherheitsprinzipien, denen du bei deiner Arbeit folgst?
Zu meiner Arbeit gehört, dass ich immer gut vorbereitet bin, also eine Planung habe. Dann gehört dazu, dass ich gut trainiert bin und mich fit fühle. Und schließlich ist auch die ganze Ausrüstung Teil meiner Sicherheit. Dass ich aktuelle Ausrüstung habe, die auch gut verwenden kann und eigene Erfahrungen habe, was besser und was schlechter funktioniert. Wobei das ja alles immer die Grundlagen sind, um seine Arbeit gut zu machen. Aber letztendlich verkaufen Bergführer ja keine Sicherheit. Meine Dienstleistung ist meine Fähigkeit, mein Können und meine Erfahrung, gewisse Situationen einschätzen zu können und Entscheidungen zu treffen. Das führt dazu, dass sich Menschen sicher fühlen. Ich nehme aber wahr, dass die Menschen vergessen haben, dass man in den Bergen umkommen kann. Selbst in der Kletterhalle, wenn es blöd läuft. Das zu erkennen und zu akzeptieren ist für mich eine innere Haltung, und so kommuniziere ich das auch meinen Gästen. Dass dieser Risikoraum und diese Unsicherheiten zu dem schönen Erlebnis Berg dazugehören und auch dazu beitragen, dass die Berge so schön sind. Und dann erkläre ich, dass wir hier jetzt alles tun werden, damit wir ein gutes und schönes Erlebnis haben.

Erste Hilfe bei Panikattacken am Fels oder Berg

Was tun, wenn ein Mensch beim Klettern oder am Berg von Angstgefühlen überwältigt wird?

Fall 1: Beim Sportklettern bleibt der Vorsteiger zwischen zwei Haken 10, 15 Minuten stehen und bewegt sich gar nicht mehr, ist auch nicht mehr ansprechbar. Irgendwann klettert er plötzlich weiter.
Aus psychologischer Sicht würde man sagen: Der ist in eine Panik gelaufen. Und das sogenannte „Festfrieren“ ist ein Verhalten, das Menschen in einer Panikattacke zeigen können. Das ist ein klinisches Bild, aber sehr selten. Die Wahrnehmung der Person, die da zwischen den Haken steht, ist: „Ich werde sterben.“ Der Mensch erlebt einen kompletten Kontrollverlust. Gleichzeitig ist diese Person aber immer noch eine denkende Person. Was nicht hilft, ist Anfeuern oder rufen „Stell dich nicht so an!“ Was man wissen muss: Der Mensch in der Panik denkt, das geht immer so weiter und wird immer schlimmer. Aber letztlich flacht die Panik ab und ist irgendwann vorbei. Solange keine Gefahr im Verzug ist, heißt es also abwarten, bis der Peak vorbei ist und die Person langsam wieder Kontrolle erreicht.

Fall 2: Jemand weigert sich, einen exponierten Weg, wo theoretisch durchaus auch Absturzgefahr bestehen kann, zu gehen und rührt sich, an die Wand gelehnt, nicht mehr vom Fleck.
Man weiß zumindest, dass eine Person in einer solchen Situation keine Übersprungshandlung macht. Das wäre, wenn die Person sagt: „Ich halt‘s nicht mehr aus“ und nach unten springt. Das ist nicht bekannt. Die wird eher festfrieren. Was viele Menschen in ihrer Unsicherheit an solchen Stellen tun, ist sich gegen den Hang zu lehnen anstatt aufrecht zu stehen oder zu gehen. Damit verschiebt sich der Körperschwerpunkt nach innen und die Schuhe rutschen eher noch, was das Unsicherheitsgefühl verstärkt. Was du machen kannst, ist: den Peak der Panik abwarten; durch Anseilen die Absturzgefahr ausschalten; jeden Schritt und jeden Griff ansagen und anzeigen. Denn was macht die Person, wenn sie nickt oder meinem Finger folgt? Sie hat – und wenn es nur ein kleines bisschen ist – wieder Kontrolle erlangt.

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| Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Pauli Trenkwalder Interview Globetrotter 2021 OuterPeace

By Interview
Interview erschienen in …

Pauli Trenkwalder Interview Globetrotter 2021 OuterPeace

Was macht Wandern, Bergsteigen, also aktiv in der Natur sein, mit uns?

Viele von uns erinnern sich gerne an jene Tage zurück, wo wir in der Natur unterwegs waren. Beim Bergsteigen, Wandern, Klettern oder vielleicht auf einer Skitour,  wo es uns gelungen ist, die passende Dosis zu finden. Nicht überfordert und nicht unterfordert gewesen zu sein. Und Abends spürten wir die Anstrengungen,  die müden Muskeln und wir erinnern uns an die Zufriedenheit die unseren Körper durchströmte.
Egal ob beherzte Wanderer:in, motivierte Bergsportler:in oder gelegentliche Spaziergänger:in, Bewegung und Natur tut uns gut. Nichts Neues, weil natürlich.

 

Seelisches Wohlbefinden wird heutzutage häufig mit Stärkung der Resilienz in Verbindung gebracht. Stärkt das aktive Draußen sein auch unsere Widerstandskraft?
Psychische Gesundheit ist ein Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und etwas zu ihrer Gemeinschaft beitragen kann.
Auf der einen Seite nehme stressbedingte Erkrankungen dramatisch zu, auf der anderen Seite verfügen Menschen immer weniger über Fähigkeiten und Kompetenzen, um mit Stress umzugehen.

Da man in den Bergen zum Beispiel Ausgleich und realistische Ziele finden kann, stärkt man so auch seine psychische Widerstandsfähigkeit. Dabei sollte man sich von zwei Fragen leiten lassen: „Was tut mir gut?“ und „Für was kann ich mich begeistern?“

 

Als Psychologe ist dir beim Wandercoaching unter anderem unsere Selbstwirksamkeit wichtig. Inwieweit wird sie denn vom in der Natur sein positiv beeinflusst/verbessert?

Selbstwirksamkeit ist eine wichtige Facette psychischer Gesundheit und wird ausschließlich in konkreten Situationen und mit konkreten Menschen gewonnen, d. h. ich bin in der Lage, die mir wichtigen Dinge durch mein Eigenhandeln auch gegen Widerstände zu erreichen. Das „in die Berge gehen“ bietet genau den Rahmen, um das zu erleben.

Berge sind für mich keine Methode und keine Therapeuten sondern Resonanzraum und ein wundervolles Ambiente für meine Arbeit als Psychologe & Bergführer. Berge sind einfach da!

 

Muss man dazu immer auf den Berg bzw. in Richtung Grenzen ausloten gehen?

Nicht jeder muss bergsteigen um glücklich zu werden, das klappt auch ganz gut ohne. Ich bin Bergmensch und gehe mit meinen Klienten in die Berge, weil dies mein Arbeitsplatz ist. Ich lote auch keine Grenzen aus, schon gar nicht am Berg. Gleichzeitig findet Persönlichkeitsentwicklung ausserhalb der Komfortzone statt.

 

Wie und wo findest du deinen (inneren) äußeren Frieden?

Alleine am Berg, umrahmt und eingebettet von viel Natur.

 

#menschundberge
#gersprächeamberg
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| Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

„Meine Couch sind die Berge“

By Interview
Interview erschienen in Alpstyle

Psychologe und Bergführer Pauli Trenkwalder im Portrait

Wir treffen Pauli Trenkwalder im Ridnauntal der Gemeinde Ratschings. Von hier ist es nur noch ein Steinwurf hinüber ins benachbarte Pflerschtal, wo der Psychologe gemeinsam mit seiner Frau und Tochter lebt. Der sportliche Südtiroler sitzt uns mit langen, lockigen Haaren und wachen Augen gegenüber. Dabei erzählt er, wie er zwei auf den ersten Blick völlig unterschiedliche Berufe vereint, welche Vorteile die Natur bietet, wenn man sie nur als Arbeitsplatz zulässt. Und er erzählt, dass seine eigentliche Aufgabe nicht das Erzählen, sondern vielmehr das Zuhören ist.

Pauli lebt schon immer hier, nahe dem Brenner, in den Südtiroler Bergen. Was zuerst da war, möchten wir von ihm wissen: Der Bergsteiger in ihm, oder der Psychologe?

Die Leidenschaft, das Interesse war von beidem da. Das eine war ein Studium. Das andere entwickelte sich aus einer Leidenschaft. Aus dem Klettern. Aus dem Bergsteigen. Aus dem Tun.

Und so dauerte es nicht lange, bis der junge Trenkwalder sich fragte, ob man davon nicht auch leben könne. Mit vielen Freunden und Bekannten, die entweder noch in der Bergführerausbildung oder schon ausgebildet waren, sah er einen Weg. Quasi zweigleisig schloss er beides ab. In München folgte eine systemische Ausbildung, in Österreich eine klinische und gesundheitspsychologische Ausbildung. Und dann kombinierte der Bergfreund, was seiner Meinung nach ohnehin gar nicht so weit voneinander entfernt ist.

Meine Couch sind die Berge. Ich bin zwar immer noch ganz klassisch rein als Bergführer und im Lehrteam des Deutschen Alpenvereins als Ausbilder unterwegs, aber eben auch als Psychologe. Mit den Menschen, die zu mir kommen, gehe ich dann raus – in die Berge.

Italien, Deutschland, Schweiz: Paulis Werdegang ist fast im ganzen Alpenraum verstreut. Er ist ein Macher. Energiegeladen. Und zweifelsfrei mit einem festen Willen. Die Kombination Bergführer und Psychologe gäbe es ja nicht oft, so sagt er. Aber die Kombination macht eben auch Sinn!

Am ehesten lässt sich das vielleicht mit einem Zitat einer meiner Kundinnen beschreiben. Die leidenschaftliche Skifahrerin sagte mir auf einer Skitour, dass sie glaube, wenn ihr Herz aufgehe, wie in diesem Moment kurz vor der pulvrigen Abfahrt, dann gehe ja auch viel leichter etwas in dieses Herz hinein!

Wer sind die Menschen, die Trenkwalder aufsuchen? Und was kann er für sie tun? Der Bergpsychologe beschreibt auf diese Frage sein Tun als niederschwelliges, psychologisches Angebot. Wer berufliche oder private Entscheidungen treffen muss, wer so etwas gerne extern besprechen möchte, der ist bei Pauli genau richtig aufgehoben.

Selbstverständlich sind das Menschen, die ohnehin schon einen großen Bezug zu den Bergen haben. Und draußen auf Tour, ist die psychologische Arbeit Trenkwalders keine andere als die eines ganz gewöhnlichen Psychologen. Doch ist es die Natur, die Umgebung, oder viel mehr was wir Menschen in ihr sehen, was beiden Seiten einen enormen Vorteil bieten kann.

Oft sprechen wir dann über Stunden nichts. Das sind wertvolle Momente. Manchmal höre ich auch nur zu. Die Menschen, die zu mir kommen haben ja keine psychische Erkrankung. Sie brauchen keine Therapie, sondern eine Unterstützung, eine Hilfestellung in einer schwierigen Situation.

Teambuilding. Waldbaden. Die Heilkraft der Natur. Mit all dem kann Pauli recht wenig anfangen – schließlich sei das ja kein Hokuspokus was er da mache. Was folgt, ist ein Erklärungsversuch. Das Setting, also der Rahmen, in welchem diese Gespräche stattfinden, sind die Berge. Da ist es erstmal zweitrangig, ob das nun ein Spaziergang, eine Bergwanderung, eine Kletter-, oder Skitour ist. Wichtig sei eben, dass einem das Herz aufgehe.

An die eigenen Grenzen zu gehen sei dabei nicht nötig, meistens auch gar nicht förderlich. Viel wichtiger sei es, dass die Beziehungsebene zwischen dem Klienten und ihm passend ist, eine Ebene, auf der man etwas gemeinsam hat. Im besten Fall bewegt man sich auf der gleichen Wellenlänge. Diese Beziehungsarbeit ist ein wichtiger Teil seiner Aufgabe und gerade hier tun ihm die Berge einen großen Gefallen. Meistens kommen die Menschen mit einer positiven Grundeinstellung zu ihm. Immerhin geht es ja in die Berge, in ein Abenteuer, ins Vergnügen, odereinfach in den Urlaub. Das ist das Fundament.

Dazu kommt, dass wir nicht nur eine Stunde in einem Raum miteinander verbringen, sondern den ganzen Tag! Unterwegs ist es befreiend, wenn der Blick schweifen kann. Es gibt nicht diesen Druck: Was soll ich jetzt tun? Was soll ich jetzt sagen? Oft passiert zwischen meinem Gast und mir stundenlang scheinbar nichts. Doch der Schein trügt. Oft passiert genau in diesen Momenten sehr viel!

Wir philosophieren noch lange über Paulis Arbeitsweise. Über die Berge. Über die anspruchsvollen Erstbegehungen in weit entfernten Ländern, die ihm gelangen, lange bevor er als Ehemann und Familienvater ein neues Lebenskapitel eröffnete. Heute fotografiert er leidenschaftlich gerne. Natürlich das Lieblingsmotiv: Große Berge und kleine Menschen. 

Uns gegenüber sitzt ein interessanter Mensch, eine spannende Persönlichkeit, die ganz sicher gefunden hat, was sie glücklich gemacht hat. Denn auch das, so sagt er, muss man ja erstmal finden. Spüren. Erleben!

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Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Pauli Trenkwalder – Interview

By Interview
Interview erschienen in …

Pauli Trenkwalder – Interview

Gehst du in die Berge, wenn du Probleme hast?
Ja, ich kann in den Bergen gut entspannen und über Dinge nachdenken. Ich fahre das System besser hinunter.

Du fährst das System hinunter? Was passiert denn am Berg?
Viele Menschen sagen, in den Bergen fühle ich mich frei. Ein schwieriges Wort für mich. Aber etwas passiert tatsächlich da oben. Der Glücksforscher Czikszentmihalyi nennt es Floweffekt, also ein Glücksgefühl, das sich einstellt, wenn man eine Extremsituation überstanden hat. Der Neurobiologe Arne Dietrich, den ich sehr gut kenne, hat diesen Ansatz weiterentwickelt. Er sagt, es gibt in uns ein implizites und explizites Hirnkastl. Durch die Tätigkeit beim Wandern oder Klettern fährt das explizite System herunter, übrig bleibt der Autopilot und es beginnt eine kreative Phase, in der sich Lösungswege aufzeigen. Man könnte sagen, ich strenge mich nicht mehr an zu denken. Ich muss beim Gehen nicht nachdenken, wie ich meinen Fuß nach vorne setze. Diese Bewegung ist automatisiert, deshalb kann ich mich auf andere Sachen konzentrieren und dann spüre ich, jetzt fließt es…

Wer kommt zu dir? Was sind das für Menschen?
Wir bieten keine Psychotherapie an. Wir machen Gesundheitsförderung. So nennen wir das. Da gab es zum Beispiel eine Friseurin, die in einem anderen Beruf noch einmal neu beginnen will? Oder Führungskräfte, die sich weiterentwickeln möchten. Oder eben ein Klient, der es nie länger als drei Jahre schafft, eine Liebesbeziehung aufrechtzuerhalten. Es sind Menschen, die vor einem Problem stehen und das anschauen möchten.

Bringst du auch Menschen in die Berge, die vorher nie eine Beziehung zum Berg gehabt haben?
Nein. Die melden sich gar nicht. Wer zu mir kommt, der will nicht klettern lernen. Der sucht eine „Kulisse“, in der er sich gut fühlt. Mit einer Klientin war ich auf Skitour, es war super Pulverschnee und schlechtes Wetter, aber sie hat gesagt, ihr geht da das Herz auf. Klar, wenn ihr das Herz aufgeht, ist es für mich leichter, mit ihr zu arbeiten, weil dann auch etwas ins Herz hinein geht. Ich bin am Berg ja in einer Doppelfunktion unterwegs. Als Psychologe bin ich nahe dran am Menschen, als Bergführer bin ich auch einmal 30 bis 50 Meter weit weg. So kann sich mein Gast aufs Klettern konzentrieren und auf die Gedanken, die sich dabei einstellen. Ich setze dann nur einige Nadeln.

Von welchen Nadeln sprichst du?
Ich kann dir eine Frage stellen, mit der ich spiegle, was du gesagt hast, dann rattert das in deinem Hirnkastl. Und das geht den ganzen Tag lang. Eine Therapiesitzung im Tal dauert normalerweise 50 Minuten, wenn ich als Coach einmal nicht weiterkomme, dann rette ich mich über diese Stunde schon drüber. Wenn ich hingegen den ganzen Tag ausgesetzt bin, ist das viel effektiver, aber natürlich auch anstrengender.

Wie wichtig ist das Thema Grenzen annehmen, ausloten oder überwinden?
Bei Führungskräften, die exponiert sind, mag es sinnvoll sein, daran zu arbeiten. Aber sonst führe ich niemanden bewusst an seine Grenzen. Als Bergführer habe ich die Aufgabe, den Menschen zu sichern, damit er nicht abstürzt. Als Psychologe habe ich den gleichen Auftrag. Ich muss ihn in seine geistigen Welten gut hinein und wieder herausführen. Einen Menschen psychisch zu exponieren, finde ich nicht richtig. Ich führe auch Kinder nicht mit der Hand auf die heiße Herdplatte, damit sie verstehen, dass das wehtut.

Was kann ich also am Berg lernen, wenn ich mit dir unterwegs bin?
Huh, da kommen wir jetzt in den Bereich der großen Versprechen. Wir kennen alle diese Angebote zum Teambuilding, wo Mitarbeiter einer Firma zusammen auf den Berg gehen, ein Floss bauen und gemeinsam den Fluss hinunterfahren, und alle erwarten, danach werdet ihr besser zusammenarbeiten. Man weiß, evidenzbasiert, dass das Humbug ist. Die haben ein tolles Erlebnis, ganz sicher, aber der Effekt wird aus meiner Sicht überhöht.

Ich kann also gar nichts lernen am Berg?
Doch, wenn du in der „Wildnis“ unterwegs bist, fühlst du dieses Ausgesetztsein, du musst Entscheidungen treffen und spürst Hunger, Durst, Kälte, Müdigkeit, Hitze. Das sind die wirklichen Werte von diesem Erlebnis, nicht, ob du einen Transfer vom Berg ins alltägliche Leben herstellen kannst oder nicht. Ich als Pauli Trenkwalder kann das sicher nicht leisten. Ich werde dich begleiten, ich werde dich dorthin führen, wo es für dich unangenehm ist, und mit dir Verhaltensmuster aufdecken, die sich im Lauf des Lebens bei dir eingeschlichen haben. Darum geht es ja. Du kommst zu mir, weil du dich weiterentwickeln willst. Ich sichere dich mit dem Seil, wie es ein Bergführer auch tut. Und ich habe den Kompass, ich weiß, wie weit ich gehen kann. Auch bei dir. Und ich gehe so weit, wie du es mir sagst. Aber arbeiten an dir musst du.

Und wenn der Gast nicht auf den Gipfel kommt, kommt er halt nicht hinauf…
Ja, in Bergsteigerkreisen heißt es oft, der Gipfel ist das Ziel. Andere sagen: Das Ziel ist der Weg. Ich sage: Oft ist das Ziel im Weg. Der Gipfel ist nicht so wichtig. Wichtig ist das Unterwegssein. Es ist wichtig, dass du innerlich, in deinen Themen unterwegs bist, dann wird sich etwas ändern.

Kann ich ein Muster erlernen? Wenn ich mich zum Beispiel daran erinnere, wie ich am Berg eine schwierige Situation gemeistert habe?
Ein wesentlicher Bestandteil psychischer Gesundheit ist die Selbstwirksamkeit, also wenn ich etwas gegen Widerstand mache und Erfolg habe. Am Berg handle ich oft gegen Widerstände: jetzt muss ich die Zähne zusammenbeißen, jetzt muss ich durchhalten, muss mich in Geduld üben, auch einmal demütig sein, auch einmal scheitern. Diese Selbstwirksamkeit kann man von den Bergen in sein Berufsleben – oder auch Privatleben – übertragen. Wenn ich gesehen habe, ich habe das ausgehalten am Berg, obwohl ich müde war und Durst hatte, dann bin ich stolz auf mich. Das sagen mir die Menschen auch: Ich bin stolz auf mich, ich habe durchgehalten.

Arbeitest du eher an den Stärken oder an den Schwächen deiner Klienten?
Richtig ist, die Stärken zu stärken und sich nicht lange bei den Schwächen aufzuhalten. Der Arzt und Kabarettist Eckart von Hirschhausen hat einmal gesagt, wenn du ein Pinguin bist, wird aus dir auch nach sieben Jahren Therapie nicht eine Giraffe werden. Und die Stärke des Pinguins ist halt das Schwimmen und nicht der Marathonlauf.

Wie sehr muss man sich am Berg plagen, dass es mir im Alltag nützt.
Wenn man sich nicht plagen will, wird man halt nicht Vorstandsvorsitzender werden. Einige Führungskräfte, die ich schon lange begleite, haben eine hohe Leidensfähigkeit, die klagen nie, die sind demütig und geduldig, und die halten durch, auch wenn man genau sieht, dass es jetzt anstrengend für sie ist.

Kann man sich ans Leiden gewöhnen, um mehr auszuhalten…
Die Qualität, etwas auszuhalten da draußen, Anstrengung wegzustecken, das kann ich übertragen auf mein Leben, da kann ich mir sagen, jetzt muss ich mich einfach mal durchbeißen. Ich bin aber der Meinung, dass man sich entspannen darf am Berg. Manchmal reicht es, einfach hinauszugehen. Das allein tut schon gut. Wir in Südtirol haben diese Qualität! Der eine braucht den Spaziergang rund um den Montiggler See, der andere muss die Drei Zinnen besteigen, aber was beide tun müssen, ist, sie müssen hinausgehen. Sie müssen es machen.

Haben wir viele Probleme deshalb, weil wir zu wenig draußen in der Natur sind?
Du musst nur schauen, wie viele Leute unbewusst in die Natur gehen. Und wenn sie zurückkommen, sagen sie, das hat mir gut getan. In der Natur passiert irgendwas mit ihnen. Dieses Hinausgehen machen die meisten intuitiv, es ist etwas, was Menschen treibt. Wenn unsere Vorfahren nicht hinausgegangen wären, um Himbeeren zu suchen und den Säbelzahntiger zu erlegen, würden wir ja noch immer in der Höhle hocken.

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Zufrieden. Klettern in Schottland | Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Human Facts meets Pauli Trenkwalder

By Interview
Interview erschienen in Human Facts, 08/2025

Human Facts meets Pauli Trenkwalder, Berg- und Skiführer, Coach und Diplom-Psychologe

„Wie oft war es schon steil in Ihrem Leben? Steht gerade wieder ein Berg vor Ihnen?“ So begrüsst uns die Website Mensch und Berge (German) von Pauli Trenkwalder, der Menschen auf „Steilstrecken“ in ihrem Leben unterstützt, als Bergeführer sowie als Coach und Psychologe. In beiden Professionen gleichermassen profund ausgebildet, macht er sich mit uns auf den Weg in die Berge, um bewusst aus dem Alltag herauszutreten, um zu reflektieren und nachzudenken. Damit ist allerdings weit mehr verbunden als die Idee, mental Abstand zu gewinnen. Durch das begleitete Eintauchen in die Stille und die Natur der Berge, lädt Pauli Trenkwalder uns zu einem ganz besonders wertvollen Perspektivenwechsel ein: Im Resonanzraum der Berge können wir uns nicht nur intellektuell, sondern als „ganzer“ Mensch, mit all unseren Sinnen und Körper-Geist-Seelenverbund erfahren – das weitet den Blick und schafft Vertrauen in uns selbst.

Pauli, zunächst herzlichen Dank, dass Du Zeit findest für dieses Interview. Obwohl wir ja global den allgemeinen Trend beobachten, dass viele Menschen vom Land in die Stadt ziehen, scheint die Pandemie – zumindest bei uns in der Schweiz – einen Umkehrtrend ausgelöst zu haben. Nicht nur, dass die Berge von Wanderern an den Wochenenden quasi überlaufen waren. Auch die Nachfrage aufs Land bzw. in die Natur zu ziehen – und das sind bei uns meistens die Berge – hat sich während der Pandemie drastisch erhöht. Wie erklärst Du Dir das? Warum zieht es uns plötzlich mehr und mehr in die Natur und die Berge? Welche Wirkung hat das auf uns und warum? Was fasziniert Dich selbst immer wieder?

Wenn man die Menschen fragt, warum es sie in die Natur zieht, dann ist die allgemeine Überschrift: „Weil es mir guttut“. Die Motive sind aber sehr unterschiedlich. Vom Sport, Leistung, die Muskeln zu spüren, zu entspannen, Ziele zu erreichen, einfach „sein“ bis Lifestyle-Trend ist alles dabei.
Dass besonders im Frühling 2020 mehr Wanderer unterwegs waren, konnte ich im Südtirol auch feststellen. Jetzt, wo man wieder alles darf, ist die Anzahl Menschen, die in der Natur unterwegs sind, aber wieder gleich hoch wie zuvor. Offensichtlich geht es uns mit der Natur wie mit anderen Dingen auch: Oft erschliesst sich uns ihr Wert erst, wenn wir etwas nicht mehr haben. 
Mich persönlich fasziniert vor allem, dass man sich auch als Menschen in der Natur und am Berg näherkommt. Ich habe bei und durch meine eigenen Klettertouren tiefgreifende Begegnungen und Freundschaften erleben dürfen. Wenn man gemeinsam jenseits der Zivilisation unterwegs ist, dann geht es nicht nur ums Klettern. Sondern vor allem auch darum, dass man sich ausgesetzt in der Natur als Mensch näher kommt und Tiefe in der Begegnung erleben kann. Das fasziniert mich bis heute.

Die Kombination, profund ausgebildeter Bergführung und Coach scheint mir relativ einzigartig. Was hat Dich bewegt, diese beiden Berufe zu erlernen und auch zu kombinieren?

Kurz gesagt, mich hat beides enorm fasziniert: das Klettern und Bergsteigen genauso wie die tiefen menschlichen Begegnungen und Erfahrungen, die ich am Berg erleben durfte. Aber der Weg, beides gleichwertig professionell und seriös zu betreiben und vor allem sinnvoll zusammenzubringen, war ein langer Weg mit viel Geschichte. Gerade auch weil die Kombination eher selten ist. Rückblickend sieht das natürlich immer einfach aus. Aber beiden Professionen gleichzeitig gerecht zu werden und sinnvoll zu kombinieren, war gar nicht so leicht. Aber heute wird der Mehrwert in der Kombination von meinen Kundinnen und Kunden gesehen und auch von beiden Professionen anerkannt. So bin ich z.B. auch in der Ausbildung für andere Bergführende tätig, gerade weil ich auch die Psychologie im Rücken habe.

Mich persönlich fasziniert vor allem, dass man sich auch als Menschen in der Natur und am Berg näherkommt. Ich habe bei und durch meine eigenen Klettertouren tiefgreifende Begegnungen und Freundschaften erleben dürfen.

Die Kunden/innen von Human Facts sind mehrheitlich Führungskräfte in Organisationen oder Unternehmen. Wo gibt es Deiner Meinung nach Parallelen zwischen Bergführenden und Unternehmensführenden? Was können Unternehmensführende von Bergführenden lernen? Was können Teams in den Bergen lernen?

Als erstes fällt mir da die Parallele ein, dass beide Entscheidungen treffen. Und zwar weil wir es müssen, wollen aber auch können. Manchmal sind die Entscheidungen einfach und Routine. Oft sind sie aber auch herausfordernder, weil ihr Ausgang ungewiss ist. Das Wetter in den Bergen ist wohl eine ähnlich ungewisse Komponente wie manche Marktentwicklungen für die Unternehmensführung. Auch bei der Zusammensetzung der Kompetenz der beiden Berufsstände sehe ich Ähnlichkeiten. Bei beiden handelt es sich um ein Gemisch aus Regeln, die man Intus hat plus Intuition, die sich durch Erfahrung immer stärker ausbildet. Der Profi, egal ob im Bergführen oder in der Unternehmensführung, wird auch immer wieder auf dessen Erfahrung zurückgreifen, besonders wenn er sie reflektiert, ausgetauscht und eine gewisse innere Distanz dazu entwickelt hat. 
Am Ende steht aber gar nicht so sehr der direkte Transfer vom Bergsteigen zum Management im Fokus. Zumal es sehr individuell ist, was jede oder jeder von der erlebten Situation am Berg mitnimmt. Man lernt nicht vom Bergführenden, sondern durch den Prozess des Unterwegsseins in den Bergen. Und genau auf diesem Weg begleite ich die Menschen. D.h., meine Rolle ist fokussiert auf das Zuhören und darauf einzugehen.

Wolken und Sonne. Dolomiten |Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Dolomiten | Pauli Trenkwalder

Die Pandemiekrise hat wohl bei uns allen – egal ob Führungskräfte, Selbständige oder Angestellte – grundlegende Ängste und Unsicherheiten in allen Lebensbereichen befördert: Angst um unsere Gesundheit, die Angehörigen, die wirtschaftliche Existenz, die Lebensgestaltungsfreiheit und die Zukunft ganz allgemein. Für mich sind Ängste immer auch ein Ausdruck der Abwesenheit von Vertrauen. Vertrauen ins Leben, in uns selbst, in andere, in die Zukunft. Was kann aus Deiner Erfahrung helfen, Ängste nicht überhand nehmen zu lassen und immer wieder zurück zu Mut und Vertrauen zu finden? Inwieweit kann uns dabei der Resonanzraum der Berge, wie Du ihn so schön nennst, behilflich sein? Welche Wandlungen konntest Du auf Deinen Berggängen dazu beobachten?

Vertrauen ist ein zentrales Beziehungsgefühl, ohne das keine Geborgenheit und kein Schutz vermittelt, beziehungsweise empfunden werden kann. Vertrauen schafft auch Selbstvertrauen und Selbstvertrauen führt wiederum der Vertrauensfähigkeit. UnserSelbstvertrauen wird massgeblich von Selbstwirksamkeit genährt. Hierbei beweist man sich selbst, dass man in der Lage ist, die wichtigen Dinge durch eigenes Handeln auch gegen Widerstände zu erreichen. Selbstwirksamkeit wird ausschließlich in konkreten Situationen und mit konkreten Menschen gewonnen. Sie gilt als wesentliche Facette psychischer Gesundheit. Unter psychischer Gesundheit verstehen wir einen Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeit ausschöpft, die normalen Lebensbelastungen bewältigt, produktiv arbeitet und etwas zur Gemeinschaft beitragen kann. Dabei ist es durchaus normal und auch hilfreich, auch ab und zu Angst zu empfinden. Angst ist eines der am frühesten entwickelten Gefühle und ursprünglich ein lebensnotwendiges Signal, das zu selbstschützenden Verhalten mobilisiert. Gerade in den Bergen ist es für mich in diesem Sinne auch eher ein Zeichen von psychischer Gesundheit, wenn Menschen da Angst haben als wenn nicht.

Selfie. Ortler, Südtirol | Pauli Trenkwalder, Berge & Psychologie

Ortler, Südtirol | Pauli Trenkwalder

Das zur Theorie. Jetzt zu meinen «So, jetzt gehen wir mal in die Berge und dann ist alles wieder gut» so ist es leider nicht. Gerade bei übermässigen Ängsten oder auch psychischen Problemen sollte man auf jeden Fall eher einen klinischen Psychotherapeuten•in aufsuchen.

Was Menschen aber in den Bergen auf jeden Fall stärken können ist ihre Selbstwirksamkeit, die ja mit Selbstvertrauen, Vertrauen und psychischer Gesundheit eng verknüpft ist.

Das Interview führte xxx.
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