Interview erschienen in All Mountain N°8
Der Berg als Couch
Wie wirken die Berge auf den Menschen? Und kann uns die Natur helfen, uns weiterzuentwickeln? PAULI TRENKWALDER (43) ist Bergführer und Psychologe. Er meint: „Die Berge sind eine tolle Couch!“
Seit Menschengedenken sind Berge etwas Besonderes. Manche sind sogar heilig. „Die Berge geben mir Energie“, sagt Pauli Trenkwalder, als er vor seinem Haus in Gossensaß südlich des Brenners steht und auf die Gipfel ringsum blickt. Sie sind ihm vertraut. Ein Stück Heimat. Und sie sind für ihn Arbeitsplatz. Als Bergführer. Und als Psychologe. Statt sie auf die Couch zu setzten, geht er mit seinen Klienten auf Tour. Die Berge als Heilmittel, als Kraftorte für Kopf, Seele und Geist? – „Da begibt man sich schnell auf den Pfad der Esoterik“, überlegt Pauli und fährt sich durch die wuscheligen Locken. Sein Blick auf die Berge ist eher pragmatisch. „Sie sind zunächst einmal Landschaft, ganz einfach. Sie sind keine Methode. Doch diese Landschaft wirkt auf uns Menschen. Man fühlt sich ausgesetzt, klein. Für manchen ist diese Exponiertheit den Naturgewalten gegenüber kaum auszuhalten, bisweilen gar beängstigend. Deshalb kommt es auf die individuell passende Dosis an. Die kann sehr unterschiedlich sein. Für den einen ist es eine entspannte Wanderung, für den anderen eine technisch, körperlich und geistig anspruchsvolle Kletterei in der Vertikalen. Doch allen gemeinsam ist: Nach gelungenen Unternehmungen fühlt man sich wohl. Natur tut gut.
Das mache ich mir zunutze, wenn ich Menschen als Psychologe berate. Bei Beziehungsproblemen, in Angstsituationen, bei schwierigen Situationen im Job oder wenn sie das Gefühl haben, im Leben neue Weichen stellen zu müssen. Wer zu mir kommt, ist in der Regel mit den Bergen vertraut. Südtirol bietet da ein ideales Umfeld. Die wilden Dolomitenmassive. Die sanften Almlandschaften. Das gute Essen, der Wein. Da ist es einfacher, sich zu öffnen. Und die Schwelle, mit einem psychologischen Berater durch die Berge zu streifen, ist niedriger, als in die Praxis eines Psychologen zu gehen. Dort, in einem abgeschlossenen Raum, können die Blicke nicht schweifen. Draußen dagegen fällt es leichter, Dinge auch mal sacken zu lassen, zu reflektieren. Gedanken weiterzuspinnen, ohne gleich eine Antwort parat haben zu müssen. Die Aufmerksamkeit ist hoch. Das erleichtert mir die Arbeit. Ich stoße Dinge an, lasse sie sich entwickeln. Einen direkten therapeutischen Nutzen der Berge sehe ich nicht unbedingt. Aber sie sind ein guter und effektiver Rahmen.
Meine Aufgaben als Bergführer und Psychologe trenne ich klar. Man muss kein Psychologe sein, um Bergführer zu werden. Aber in manchen Situationen hilft entsprechendes Wissen. Ich leite auch Seminare in der Bergführerausbildung. Einfühlungsvermögen, das Verständnis, warum sich Gäste wie verhalten und eine psychologische Analyse des Gruppenverhaltens sind wichtige Teile des Führens. Als Bergführer musst du voll und ganz den Menschen zugewandt sein. Genau wie als Psychologe. Es geht nicht um meine Ziele. Es geht darum, dass die Augen des anderen leuchten. Das kann anstrengender sein als eine Kletterei im Felsen. Deswegen ist es auch für mich wichtig, immer wieder zur Ruhe zu kommen, Energie zu sammeln, mich einzuordnen. Die Berge sind ein idealer Platz dafür – sei es bei anspruchsvollen Klettertouren mit Freunden oder gemütlich mit der Familie.“