Interview erschienen in SNOW, das Skitouren-Magazin
Der Bergflüsterer
Pauli Trenkwalder ist Psychologe und Bergführer. Da liegt es nahe, dass er sein Besprechungszimmer in die Berge verlegt hat. Mit der SNOW spricht der Mountain Addict über seine Leidenschaft, warum der Gipfel nicht das Ziel ist und seine Couch am Berg.
Interview
Christian Riedel
Fotos
Pauli Trenkwalder
Bei jedem Ausflug in die Berge fühlt man sich glücklich. Der Kopf ist frei und die Probleme des Alltags sind vergessen. Meistens ist es dann egal, ob die Sonne scheint oder Schnee fällt, ob man auf der harten Piste ins Tal fährt oder einen Aufstieg durch unverspurten Schnee auf einen Gipfel unternimmt. Solange Berge um einen herum stehen, gibt es keine Sorgen, keine Probleme und keine schlechte Laune. Für viele sind Berge die beste Therapie. Das hat auch der Südtiroler Psychologe und Bergführer Pauli Trenkwalder erkannt. Er nutzt den Einfluss, den die Berge auf die Menschen haben und bietet Beratungen im Rahmen einer Wanderung, einer Klettertour und im Winter beim Skitourengehen an. Statt wie sonst bei einer psychologischen Beratung auf einer Couch im meist doch recht tristen Besprechungsraum zu liegen, finden bei Pauli die Sprechstunden am besten bei Sonne und 40 Zentimetern Neuschnee statt. Wir haben mit dem Psychologen über seine ungewöhnliche Arbeit gesprochen.
SNOW: Ist ein Berg auch irgendwie ein Therapeut?
Pauli: Das ist eine spannende Frage. Ich bin ja Psychologe und biete Beratung und Coaching. Der Berg therapiert ja nicht. Das ist eben die Arbeit des Therapeuten oder Psychologen. Aber der Berg bildet in meiner Arbeit den Rahmen. Ich bin gern draußen in der Natur und in den Bergen, beim Skifahren, Klettern oder Bergsteigen. Der Berg therapiert hier wie gesagt nichts. Aber die Personen, die zu mir kommen, haben das Thema Berg schon positiv besetzt, weil sie von sich aus schon gerne in die Berge gehen. Wir haben mit der Vorliebe für die Berge eine Gemeinsamkeit. Das schafft direkt eine gewisse Beziehung zwischen uns. Wenn sie nun ein persönliches Anliegen haben, das sie mit mir besprechen wollen, fällt es den meisten durch diese Gemeinsamkeit leichter, über ihr Anliegen zu sprechen, an einem Ort, an dem sie sich wohl fühlen.
Wie kam das denn zustande?
Ich bin Bergführer und habe Psychologie studiert. Ich habe mich in der Forschung mit Menschen beschäftigt, die viel in den Bergen unterwegs sind. Irgendwann hat es sich ergeben und es liegt ja auch nahe. Ich biete ja keine Therapie an. Mein Angebot geht an die Menschen, die noch nicht zum Therapeuten müssen, weil sie klinisch gesehen psychisch erkrankt sind, sondern Fragen, Probleme oder ein persönliches Anliegen haben, bei dem sie alleine nicht weiterkommen und daher darüber sprechen wollen. Aber eben nicht mit einem Freund oder jemand aus der Familie, sondern mit jemand Externem. Diese Themen sind meist privater oder beruflicher Natur, aber meistens vermischt sich das sowieso.
Hast Du denn jemals in einer Praxis gearbeitet?
Wenn man so will, ist meine Couch am Berg. Das ist auch eine Rückmeldung, die ich oft von meinen Kunden bekomme. In einer Praxis ist man knapp eine Stunde mit einem Coach oder Therapeuten sozusagen eingesperrt und dann trifft man sich eine Woche später wieder. Ich bin mit meinen Kunden den ganzen Tag unterwegs. Da hat man viel mehr Zeit, die Themen zu bearbeiten. Wir machen auch viele lange Pausen oder gehen langsam. In der Zeit kann viel passieren. Man denkt ja nach und beschäftigt sich mit dem, was besprochen wurde oder was ich gefragt habe. Zwischen den Pausen hat man dann beim Tourengehen die Möglichkeit, sich mit dem Gesagten intensiver zu beschäftigen. Dann ist man natürlich von einer Landschaft umgeben, der man positiv gegenüber steht. Und diese Natur wirkt auf einen positiv ein. Weil wir dann so viel Zeit haben, kann man auch mal den Blick schweifen lassen und die Natur in sich aufsaugen. Alleine das hilft schon vielen, die das dann als Erleichterung empfinden. Wenn wir ein einem Raum sitzen, schauen wir uns immer gegenseitig an. Beim Tourengehen kann man den Blick durch die Natur schweifen lassen. Was eben den Kopf frei macht.
Vereinfacht gesagt bucht man bei Dir eine Skitour, wobei Du während der Tour dann versuchst, mit Fragen oder im Gespräch den Problemen auf den Grund zu gehen?
Jein. Wenn ich klassisch als Bergführer arbeite, habe ich nur den Auftrag, dem Kunden einen schönen Tag zu bieten. Wenn aber ein Mensch kommt, der mit mir über ein bestimmtes Thema sprechen will, dann machen wir erst einmal ein Erstgespräch, entweder persönlich oder per Telefon, wenn der Kunde weiter weg wohnt. In diesem Erstgespräch versuche ich zunächst herauszufinden, um was es genau geht und ob ich das bearbeiten kann und wenn ja, wie wir das am besten angehen. Zudem müssen wir beide auch herausfinden, ob man miteinander kann. Sonst wird man keinen Erfolg haben.
Dann stellen wir fest, was genau der Auftrag ist und entsprechend wähle ich aus, was für eine Unternehmung am besten dazu passt. Ob wir also spazieren gehen, klettern oder auf Skitour gehen. Es muss eben zur Situation passen.
Wovon hängt das dann ab?
Ich begleite Menschen über Jahre. Und das muss man dann wie eine Waage sehen. Manchmal ist das Bergziel im Vordergrund. Eine schöne Skitour beispielsweise und das psychologische Thema ist eher klein. Das Thema ist dann nicht direkt im Vordergrund. Vielleicht hat der Kunde noch zwei oder drei kleine Fragen und muss noch was klären vom letzten Mal. Manchmal ist das Bergziel im Hintergrund. Manchmal ist das psychologische Thema sehr dringend und wichtig. Vielleicht sogar belastend. Hier wähle ich Ziele, bei denen man sich auf das Gespräch konzentrieren und vielleicht auch nebeneinander gehen kann. Dann kann mich schlecht auf den Mensch und die Tour gleichzeitig vollkommen einlassen. Ich kann schlechter zuhören, wenn ich mich auf einen Hang mit hoher Lawinengefahr oder eine Sicherung am Berg konzentrieren muss. Dann gehe ich lieber wandern.
Mit welchen Problemen kommen die Menschen dann zu dir?
Zu mir kommen oft Führungspersönlichkeiten oder Menschen, die ein Unternehmen leiten. Hier geht es oft um Arbeitsthemen, die sich auf Beziehungen auswirken. Oder es ist anders herum, dass sie mit Beziehungsproblemen kommen, die auch Einfluss auf die Arbeit haben. Oft geht es um Entscheidungen, gerade auch, wenn man Dinge im Leben ändern will und wie man das dann am besten macht. Manchmal sind es auch konkrete Beziehungsprobleme, Unzufriedenheiten oder Unsicherheiten. Ängste und schwierige Situationen sind auch oft ein Thema. Selten habe ich Athleten aus dem Sport, die mit ihren Problemen zu mir kommen. Teilweise sind es noch Probleme in der Familie, beispielsweise wenn es um eine Firmenübergabe an die nächste Generation geht.
Musst Du deinen Kunden teilweise erst einmal das Tourengehen beibringen, bevor ihr dann ins Gespräch kommen könnt?
Wer zu mir kommt, weiß was er tut. Er muss schon eine positive Beziehung zu den Bergen haben, sonst klappt es mit der Beziehungsbildung nicht. In dem Bereich der Psychologie ist es für viele Leute eine große Hemmschwelle, sich Hilfe zu holen. Und wenn sie merken, dass wir beide bergaffin sind, fällt es vielen leichter, sich bei mir Hilfe zu holen. Ich spreche ja Menschen an, die rein medizinisch keine Hilfe brauchen, aber trotzdem Hilfe suchen. Wenn wir den Berg als gemeinsame Leidenschaft sehen, sind wir dann Gleichgesinnte, die man eher um Rat fragt. Wir sprechen hier auch von niederschwelligen Angeboten.
Oft reicht es schon, die Berge zu sehen, um glücklich zu sein. Warum haben die Berge so einen großen, positiven Einfluss auf unsere Psyche?
Für viele ist es ein Sehnsuchtsort, weil man in den Bergen seine Freizeit verbringt, seinen Sport ausübt und eben Dinge tut, die Spaß machen. Wenn man sich dann da den ganzen Tag sportlich betätigt, spürt man am Abend eine körperliche Müdigkeit. Und immer, wenn sich Menschen anstrengen und Ziele wählen, die zwar fordernd aber nicht überfordernd sind, stellt sich abends ein Glücksgefühl ein, teilweise sogar ein Flow-Gefühl aber zumindest ein Wohlbefinden. Das kann dann eine 1.200 m Skitour oder eine Powderabfahrt sein. Das Erleben und das Gefühl, sich zu erholen, ist immer da. Die Menschen erleben auch eine Gesundheitsförderung. Und die Natur ist ein Resonanzraum. Der Körper spürt Wärme oder Kälte, er ist im Kontakt mit Schnee. In der Großstadt hat man das nicht. Das fühlt sich gut an.
Gehst Du denn auch privat auf Skitour?
Sicher. Wenn ich nicht mehr in die Berge gehen würde, wenn mich das nicht mehr motiviert oder glücklich macht, dann kann ich auch meine Arbeit an den Nagel hängen. Ich gehe auch viel alleine in die Berge, um mich zu erholen. Ich habe dann andere Ziele und überlege aber auch, was mir wichtig ist und was ich machen muss, damit es mir gut geht.
Bist Du auf Skitour dann auch Dein eigener Coach?
Ich mache das jetzt nicht bewusst, dass ich mir Dinge vornehme, über die ich nachdenken will. Aber alleine in der Natur denkt man eben viel über sich nach. Das ist bei mir nicht anders. Was neurobiologisch passiert hat auch der Psychologe Arne Dietrich erklärt. Wenn man gleichbleibenden Tätigkeiten nachgeht, wie eben Skitour Gehen, muss ein Teil des Gehirns nicht mehr so viel nachdenken, also wenn man nur einen Fuß vor den anderen setzt. Das System fährt Bereiche runter und der andere Teil ermöglicht es im Gehirn, dass man sich mit anderen Dingen beschäftigen kann, ohne dass man das jetzt so ganz bewusst macht. Dieser Teil hat dann eine höhere Aktivität. Das führt meistens dann dazu, dass man Lösungswege findet oder tolle Ideen hat, an die man in dem Moment gar nicht gedacht hat, die sozusagen mental hinten über gefallen waren. Kreative Menschen, die an einem Tisch sitzen und krampfhaft etwas finden wollen, werden selten erfolgreich sein. Zündende Ideen kommen dann eher in Momenten, an denen man nicht unbedingt damit rechnet. Gleichbleibende Bewegungen gehören hier eben auch dazu. Und das kommt mir eben auch zu Gute, wenn ich in meinen Gedanken versinken kann.
Wie wichtig ist denn bei deinen Gesprächen beispielsweise ein erfolgreicher Gipfelsturm auf einen 3.000er?
So etwas kann schon helfen. Bei Selbstzweifeln oder Entscheidungsproblemen kann so ein Gipfelsieg zusätzliches Selbstvertrauen bringen. Ich habe aber teilweise auch stark getriebene Personen, die viel schaffen wollen, auch viel erreichen, sehr erfolgreich sind und viel Energie haben. Die sind nach einer langen Tour eigentlich schon müde. Aber wie sie sonst im Berufsleben alle ihre Probleme sofort lösen wollen, wollen sie beim Tourengehen unter allen Umständen und unbedingt auf den Gipfel. Dann sage ich, dass das jetzt nicht geht. Es ist zu viel nicht mehr sicher oder es geht eben nicht. Dann bin ich derjenige, der diese Workaholics auch einmal einbremst. Diese Rückmeldung bekommen sie in ihrem Umfeld nicht. Es ist schön, wenn man den Leuten ein Erfolgserleben bietet, aber es kann eben auch mal sehr lehrreich sein, wenn man ein Ziel nicht erreicht.
Was machst Du denn sonst, wenn Du nicht gerade Menschen vom Gipfelsturm abhältst?
Ich versuche, so viel Zeit wie möglich mit meiner Familie zu verbringen! Wir gehen dann zusammen in die Berge, weil es uns gut tut. Sonst helfe ich beim Testen neuer Bindungen bei ATK. Das ist eine junge Firma voller Energie die innovative Produkte bietet. Hier kann ich als Berater im Hintergrund meine Meinung zu den Produkten geben.