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Interview erschienen in 

Meine Couch, der Berg

Pauli Trenkwalder führt berufsmäßig in die Berge. Und wenn erwünscht, geht er dort auch Problemen seiner Klienten psychologisch auf den Grund.

Eine Friseurin, die in einem neuen Beruf noch einmal neu beginnen will? Ein Jungunternehmer, der bei der Firmenübernahme auf unerwartete Probleme stößt? Ein Mann, der es nie länger als drei Jahre schafft, eine Liebesbeziehung aufrecht zu erhalten?

Wer zu Pauli Trenkwalder kommt, will, wenn nicht ein Problem lösen, so doch wenigstens eines besprechen – oder aber: will ganz einfach nur auf einen Berg steigen. Im Idealfall wollen Trenkwalders Klienten beides. Doch der Idealfall ist für Trenkwalder auch am anstrengendsten: Er muss dann zwei Jobs gleichzeitig erledigen. „Das geht, aber man muss sehr strukturiert
vorgehen“, sagt er.

Wer wissen will, was für Jobs der 45-jährige Mann aus Gossensaß da so verbindet, erfährt es auf seiner Homepage ganz genau: „Psychologe Mag. rer. nat.“ steht da, und „Berg- und Skiführer“, „Klinischer und Gesundheitspsychologe“, „Systemischer Coach“. Mag. rer. nat. steht im Lateinischen für Magister rerum naturalium, Magister der Naturwissenschaften. Die akkurate
Anführung des akademischen Titels mag zunächst etwas penibel erscheinen. Bergführer mögen in Sachen Sicherheitstechnik kleinlich zu sein – aber darüber hinaus? Als kleinlich oder gar als
Kleingeister gelten sie in der Regel jedenfalls nicht. Wie auch, wenn sie auf jedem Gipfel in die weite Welt schauen können?

In der Silbergasse in Gossensaß öffnet uns ein aufgeräumter Mag. rer. nat. die Tür seines Zuhauses. Aufgeräumt, das heißt bei Trenkwalder eine Schirmmütze über das lange Haar, sportliches Arc‘teryx-T-Shirt, intakte Blue Jeans, Scarpa-Laufschuhe neueren Modells, ein freundlich lächelndes Gesicht. Die angesagten Labels gehören gewissermaßen zum Erscheinungsbild Trenkwalders, denn der Mann ist sowohl Markenbotschafter des kanadischen Outdoor-Ausrüsters als auch des italienischen Bergsport-Schuhherstellers.

Donnerstagnachmittag vergangener Woche. Als Vorhut stürmt mit fliegenden Ohren zunächst ein rotbraunes wuddeliges Etwas aus dem Haus: Es ist Lulu, der Hund der Familie Trenkwalder und sprichwörtlich aus dem Häuschen. Herrchen Pauli weilt noch für einige wenige Tage zuhause. Nach dem Corona bedingten Lockdown hat auch die Bergführerei langsam wieder Fahrt aufgenommen. Am Wochenende steht für ihn ein Arbeitstermin in Arco an, danach folgt, vom Pustertal ausgehend, eine kleine Alpenüberquerung mit zwei in die Jahre gekommenen Stammkunden.

„Mir ist es gelungen, meine Arbeit über das ganze Jahr zu verteilen und in der Regel nicht mehr länger als vier bis fünf Tage fortzubleiben. Auch bin ich nicht mehr so saisonabhängig“, sagt Trenkwalder. Wenn er zwischen seinen Touren jeweils ein paar Tage zuhause ist, dann sei er das „richtig“, ergänzt er kurz später beim Kaffeemachen in seiner Küche. Richtig, das heißt für ihn die Rolle des Hausmanns, Vaters und Gatten gewissenhaft wahrzunehmen. Im Lockdown kam der Rolle des Vaters auch die Rolle des Hauslehrers seiner elfjährigen Tochter Nora zu, erzählt er.

Pauli Trenkwalder versteht es, umgehend eine angenehme Gesprächsatmosphäre zu schaffen. Mag bereits sein lieblich und unkompliziert klingender Vornamen vertrauenerweckend klingen,
so gehört die Schaffung einer angenehmen Gesprächsatmosphäre doch auch zu seinem Geschäft. Sowohl zum Geschäft des Bergführers, als auch – und hierin ungleich noch mehr – zu dem des ausgebildeten Psychologen. Die Kombination der beiden Berufe macht Trenkwalder zu einem Exoten innerhalb der beiden Zünfte. „Es muss halt jeder sein Platzl finden“, sagt Trenkwalder lapidar und schmunzelt.

Im deutschsprachigen Raum kennt er nur drei Kollegen mit einem ähnlichem Nischenangebot. Mit zwei davon arbeitet er zusammen. Einer, Martin Schwiersch, ebenfalls Psychologe und Bergführer, holte ihn als Diplomand zu Gruppe der Sicherheitsforschung des Deutschen Alpenvereins (DAV); im DAV ist Trenkwalder bis heute als Ausbilder und Referent in den Bundeslehrteams Bergsteigen und Sportklettern tätig. Mit dem anderen Kollegen, mit Jan Mersch, bietet er über die Homepage „Mensch und Berge“ psychologische Beratung und Betreuung an – für Privatpersonen, Führungskräfte sowie Teams und Gruppen. Auf Wunsch hält man Vorträge und Seminare, die schwerpunktmäßig Fragen nachgehen wie: Was macht gute Führung aus? Wie lernt man gut zu führen? Warum führt man eigentlich?

Warum Trenkwalder selbst führt – zumindest als Bergführer in den Bergen – ist schnell erzählt. Als Kind in Wiesen Pfitsch als Sohn eines Bergretters und Handwerkers mit eigenem Kleinbetrieb aufgewachsen, war er und seine beiden Geschwister nicht nur von Bergen umgeben, sondern stets auch in ein ausgesprochen bergsteigerisches (Familien-) Ambiente eingebettet. Zusammen mit seinem Bruder begab er sich alsbald in immer steilere Wände, reifte zum ausgewachsenen Alpinisten heran, dem die Bergführerei nur als eine konsequente berufliche Fortsetzung seiner Leidenschaft erschien. Es war ausgerechnet der bergbegeisterte Vater, der ihn zunächst mit einer gewichtigen Frage einbremste: „Wie willst du von deinem Bergführer-Job leben?“

Also begann Trenkwalder zunächst Architektur zu studieren, wechselte nach dem ersten Studienabschnitt kompromisslos die Route, um in das Psychologiefach einzusteigen. Währenddessen machte er sich mit Bergführer-Freunden wie Helmut Gargitter oder Renato Botte immer wieder in die weite Welt auf, um sich auf kleinen Expeditionen am liebsten an großen, weitgehend unbestiegenen Wänden auszutoben. Entlegene Regionen in Ländern wie Madagaskar, Mali, Namibia, Venezuela, Chile oder China – um nur einige zu nennen – war ihm dabei am liebsten. Irgendwann reifte in ihm die Idee, die Psychologie mit der Arbeit des Bergführers zu kombinieren. Gedacht, getan: 2003 nahm er sein Bergführer-Diplom in Empfang.

„In Mittelpunkt steht immer die Arbeit mit Menschen, ganz gleich ob ich als Bergführer oder als Psychologe arbeite“, sagt Trenkwalder. Als Bergführer hat er schnell gemerkt, dass Menschen in der Natur besser über sich selbst und ihre Gefühle reden können. Optimale Voraussetzungen für einen Psychologen. Die Berge sind ihm dabei Kulisse und Resonanzraum, in dem sich die Gespräche mit seinen Klienten entfalten können. Angebote, in denen Büroteams über Abenteuerausflüge zusammen gebracht werden sollen, sind seine Sache allerdings nicht. Zusammenhalt, Solidarität ist nicht etwas, was sich innerhalb von einem Tag erwerben lässt. Dass am Berg aber etwas geschieht, dass man sich im Unterwegssein in der Natur öffnet – das kann Trenkwalder immer wieder beobachten. Tatsächlich zeigen neurobiologische Erkenntnisse, dass schon eine Bergwanderung von drei Stunden eine positive Veränderungen der psychischen Gesundheit mit sich bringt, Angst und Energielosigkeit schwinden, mit Outdoor- oder Bergsport lässt sich eine Burnout-Erkrankung vorbeugen.

„Ich sage nicht, dass die Natur heilt, ich bin nicht esoterisch angehaucht. Aber meine Couch ist draußen, am Berg. Die Natur hilft, das Unterwegssein hilft. Der Blick kann schweifen, das wirkt entlastend“, so Trenkwalder.

In Vorgesprächen mit seinen Klienten, tastet er zunächst ab, „ob man persönlich miteinander überhaupt kann“ und wie genau der Arbeitsauftrag an ihn lautet. Manchmal ist nur das Bergführen gefragt, manchmal nur der Psychologe, mit dem man bergsteigt, und manchmal beides. Ist letzteres der Fall, schafft sich Trenkwalder ein passendes „Setting“, wie er es nennt – einen Rahmen, wo er beides unter einen Hut bringen kann: „Ich suche mir dann leichteres Gelände aus, wandere auch nur, bin auf leichten Teilstücken der Psychologe, auf ansprechenderen der Bergführer“. Trenkwalder macht ein psychologisch niederschwelliges Angebot, er ist kein Psychotherapeut, Klienten mit einem klinischen Bild wie Depression oder einer Abhängigkeitserkrankung empfiehlt er an Fachkräfte weiter. „Ich bin auf psychologische Coachings im Gebirge spezialisiert, wenn man so will“, sagt er und grinst. Zu seiner Klientel gehören demnach Menschen mit Beziehungsproblemen, Menschen, die Orientierung suchen oder vor schweren Entscheidungen stehen.

Trenkwalder kann auch selbst loslassen. „Mit ihm kann man auch einmal einen Topfen reden, richtig Spaß haben und blödeln“, sagt einer, der ihn gut kennt. Wer schon einmal eine Fortbildung oder ein Seminar von ihm besucht hat, weiß, dass er jedoch auch fordern kann, ja sein Gegenüber zuweilen auch herausfordert. „Am geschicktesten ist es, wenn man Menschen weder über- noch unterfordert“, sagt Trenkwalder. Für sich selbst scheint der Mann, der in sich ruht, jedenfalls eine gute Mischung gefunden zu haben.

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